Der Geheime Orden
Als sie mich wieder ansah, lächelte sie. »Sie haben Glück. Diese Akte haben wir vor Ort. Füllen Sie bitte diesen Leihschein aus, dann werde ich dafür sorgen, dass Ihnen in Kürze jemand die Akte bringt.«
Ich füllte den Zettel aus und setzte mich an einen der Tische, während sie einer Botin den Auftrag übergab. Als ich dann in dem leeren Lesesaal saß, dachte ich über Davenports Worte nach, dass sich so viele Gelehrte auf diese beiden fehlenden Seiten konzentriert hatten. Was hatte König Jakob I. mit all dem zu tun? Und warum hatten die Altehrwürdigen Neun ausgerechnet einen Passus von einer dieser Seiten als ihr Glaubensbekenntnis ausgewählt? Und dann, in dem verlassenen Lesesaal, umgeben von Hunderten von Jahren Geschichte dieser Universität, kam mir ein Gedanke. Es hatte alles mit der Chronologie zu tun.
Ich kehrte an den Empfangsschalter zurück. Peggy tippte gerade etwas in den Computer ein. »Wie gut kennen Sie sich mit Mikrofilmen aus?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ziemlich gut, denke ich«, sagte sie. »Schließlich arbeite ich schon eine ganze Weile hier.«
»Wissen Sie, wann der Mikrofilm erfunden wurde?«
»Nicht aus dem Kopf, aber ich bin sicher, dass es leicht herauszufinden sein wird. Die Technik gab es bestimmt schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts.«
»Und wann, glauben Sie, war diese Technik auch für kommerzielle Unterfangen weithin verfügbar, etwa für das Speichern von Büchern oder Zeitungen?«
»Viel später. Vielleicht um die Jahrhundertwende, wahrscheinlich sogar erst später. Zu Beginn wurde sie nur an wenigen zentralen Institutionen auf der Welt benutzt. Je weiter das Verfahren verbessert wurde, desto mehr wurde es auch benutzt.«
Meine Idee war ziemlich einfach. Die Altehrwürdigen Neun müssen die Erstausgabe des Christlichen Feldzugs oder eine Mikrofilmkopie davon gesehen haben, ansonsten hätten sie die Passage, die sie zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht hatten, gar nicht gefunden. Das Buch der Nachfolge, das Dalton in Onkel Randolphs Schließfach gefunden hatte, war auf 1936 datiert. Also mussten sie irgendwann vor 1936 entweder das Harvard-Exemplar der Erstausgabe des Christlichen Feldzugs oder eines der anderen Exemplare in Europa in Händen gehabt haben, oder sie hatten den Mikrofilm gesehen. Alles kam auf die Chronologie an.
»Kann man herausfinden, wie viele Mikrofilme von einem bestimmten Werk existieren?«, frage ich.
Sie stützte ein Kinn auf eine Hand. »Ich glaub schon«, sagte sie.
»Ist es möglich herauszufinden, wann genau ein bestimmtes Buch auf Mikrofilm abgelichtet wurde?«
»Das sollte nicht allzu schwer sein.«
»Ich habe den Titel eines Buches, und ich weiß, dass es auch auf Mikrofilm verfügbar ist. Können Sie irgendwie herausfinden, wer den Mikrofilm erstellt hat und wann?«
»Damit sollten Sie sich an einen der Referenzbibliothekare in der Widener- oder der Lamont-Bibliothek wenden«, sagte sie. »Ich bin Archivarin. Aber da heute nicht viel los ist, kann ich es ja mal versuchen.«
Ich gab ihr den Titel und den Autor vom Christlichen Feldzug.
Sie verbrachte die nächsten Minuten damit, ihre Finger über die Tastatur tanzen zu lassen, bevor sie verkündete: »Der Mikrofilm ist von University Microfilms International hergestellt worden, einer Firma in Michigan. Aber hier steht nicht das Produktionsdatum.«
»Waren sie die Einzigen, die einen Mikrofilm von diesem Buch hergestellt haben?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher. Wir sprechen hier über ein Buch aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert. Da gibt es nicht allzu viele Exemplare, die man ablichten könnte.«
Ich versuchte mich dem Datum auf andere Weise zu nähern. »Wann hat UMI mit der Herstellung von Mikrofilmen angefangen?«
Sie rief ein paar weitere Daten auf. »Hier steht, dass die Firma 1938 von einem gewissen Eugene Powers gegründet worden war, der in einem Wettlauf gegen die Zeit versuchte, die Schätze der britischen Gelehrsamkeit während des Krieges zu schützen und zu erhalten …« Sie verstummte und begann stattdessen, die Wörter beim Lesen stumm mit dem Mund zu formen. Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Das ist aber putzig.«
»Was ist los?«, fragte ich.
»Der erste Mikrofilm, den sie hergestellt haben, gehörte zu der Reihe Early English Books, einer fortlaufenden Reihe von Mikrofilmeditionen aus dem Short-Title-Catalogue-I und dem Short-Title-Catalogue-II. Das bedeutet, dass Der christliche Feldzug eines der ersten Bücher war, die sie
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