Der Geheime Orden
letzten Blick auf das große Haus und die saftigen Wiesen der Milgorn Farm. Als die Busse abfuhren, hörte ich, wie der Wind das tosende Schweigen der Felder zu uns herübertrug, als hätten sie die Luft angehalten, seit wir angekommen waren, und würden jetzt endlich ausatmen.
Anders als die Fahrt aufs Land hinaus verlief die Rückfahrt still, da die meisten schliefen und der Rest auf die langsam verblassenden Hügel starrte. Ich war erschöpft, doch in meinem Kopf tummelten sich zu viele Informationen, um schlafen zu können. In vielerlei Hinsicht erschien mir der Tag wie ein einziger großer Traum. Wir waren früh am Morgen vom Hof des Delphic aufgebrochen und hatten Stunden unbeschwerten Spiels auf dem Lande genossen. Jetzt kehrten wir zu unserem geregelten Alltag in Cambridge zurück. Erst als ich an all die Seminararbeiten, Hausaufgaben und Professoren dachte, die in diesen efeugewürgten Gebäuden auf uns warteten, ging mir endlich auf, dass der Sinn dieser Ausflüge nicht in trunkenen Orgien und nacktem Umhergetolle bestand. Neunzig jungen Männern, die sich höchstwahrscheinlich nie wieder am selben Ort begegnen würden, waren acht Stunden geschenkt worden, in denen sie die Zwänge und die hohen Erwartungen abwerfen durften, die uns Harvardstudenten verfolgten. Wir durften kindisch, närrisch und politisch unkorrekt sein, ohne dass jemand uns dafür bestrafte, und das alles im abgeschiedenen Hinterland, das wieder einmal einen Jahrgang gefangener Seelen erlöst und ihnen erlaubt hatte, frei zu sein, wenn auch nur für einen Nachmittag.
12
Das sagenumwobene Winthrop-Anwesen stand auf der Spitze des historischen Beacon Hill, im Schatten des State House mit seiner goldenen Kuppel und in der Nachbarschaft einiger verstreuter, verwitterter, aber bedeutender Bostoner Sehenswürdigkeiten. Einst war es das Herrenhaus des riesigen Blackstone-Besitzes gewesen, fünfzig Morgen Waldland und Wiesen, die nunmehr Bostons größten Park bildeten, die Commons. Die Winthrops wohnten seit dem frühen 18. Jahrhundert in der alten Backsteinvilla, und auf den ersten Blick hatte sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht viel verändert. Abgesehen von ein paar modernen Bequemlichkeiten wie Klimaanlage und Zentralheizung war das Haus ein Zeugnis der Kolonialzeit in Boston und des Reichtums der Elite, die die meisten Privathäuser auf dem Hill bewohnten.
Dalton, wie Sie sich vorstellen können, hasste das Herrenhaus aufgrund seiner obszönen Zurschaustellung von Reichtum. Es war eines der Vorzeigeobjekte des Imperators und eine Mahnung für jeden, der vergessen haben sollte, dass seine Familie eine der vornehmsten Bostons war. Aber ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum die Winthrops so wenig Zeit in einem Haus verbrachten, das nicht nur historisch bedeutend war, sondern auch extrem wertvoll. Vier Stockwerke, fast 2000 Quadratmeter Fläche und direkt daneben noch ein Wagenhaus, in dem viele der Bediensteten lebten. Keine zehn Pferde könnten mich aus so einem Haus herausziehen. Aber das Herrenhaus auf dem Beacon Hill war nur eines von sechs, die die Winthrops auf der ganzen Welt besaßen, und wie alles andere in ihrem Leben war bis ins letzte Detail geplant, welches Haus sie zu welcher Zeit bewohnten. Die Bostoner Residenz wurde hauptsächlich zwischen September und November genutzt; wenn das Erntedankfest vorüber war, zogen sie in ihre Strandvilla in West Palm Beach, wobei die Dienstboten eingepackt und mitgenommen wurden, als handelte es sich um besonders robuste Gepäckstücke. Das Frühjahr verbrachten sie entweder auf dem Familienbesitz in Arizona oder in ihrem Chateau direkt am Golfclub in Palm Springs, Kalifornien. Dalton besaß eine eigene Wohnung in der Gegend von Bostons Back Bay wie auch einen kleinen Stab von Bediensteten, die mit ihm zurückblieben, wenn seine Eltern quer durchs Land von Haus zu Haus reisten.
Dalton scheuchte den alten Aston Martin über die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen von Beacon Hill, durch unübersichtliche Kurven und enge Gassen, wobei er zweimal nur knapp einer Katastrophe entkam, als ohne Vorwarnung direkt vor uns Wagen auf die Straße fuhren. Dalton raste immer schnell, aber nicht um die erschrockenen Beifahrer zu beeindrucken: Er hatte mir einmal seine Besessenheit erzählt, was Geschwindigkeit betraf, und sie mit einer Explosion von Freiheit verglichen – mit dem Gefühl, dass er sich von seinen eigenen physikalischen Grenzen befreien konnte, indem er auf
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