Der geheime Stern
hatte sich die Zeit genommen, ihr langes Haar zu einem komplizierten französischen Zopf zu flechten und sich sorgfältig zu schminken, so konzentriert und entschieden, als rüste sie sich für einen Kampf.
Seth wiederzutreffen fühlte sich tatsächlich wie ein Kampf an.
Nach dem Anruf bei ihrer Tante war sie noch immer leicht zittrig. Außerdem hatte sie schlecht geschlafen – aber immerhin hatte sie überhaupt geschlafen, was sie nur der Tatsache verdankte, dass sie Bailey und M.J. in ihrer Nähe wusste.
Mit ihrer Verwandtschaft würde sie sich später beschäftigen. Wird nicht leicht werden, dachte sie, während sie auf den Parkplatz des Polizeireviers fuhr. Aber da musste sie durch. Genauso wie durch das erneute Zusammentreffen mit Seth Buchanan.
Wenn jemand sie beobachtet hätte, wie sie aus dem Auto stieg und über den Parkplatz stolzierte, hätte er die Verwandlung bemerkt, die mit ihr vorging. Ihr Blick, der eben noch verdrossen war, wurde auf einmal heißblütig, ihr hüftschwingender Gang wurde bewusster und federnder, die Mundwinkel verzogen sich ganz leicht zu einem aufreizenden Lächeln.
Es handelte sich nicht wirklich um eine Maske, aber es war etwas, das sie jederzeit wie auf Knopfdruck entstehen lassen konnte. Sie warf dem uniformierten jungen Kerl an der Pforte einen verführerischen Blick zu, klimperte mit den langen Wimpern, woraufhin er einen Schritt zurücktrat und beinahe gestolpert wäre, so eilig hatte er es, ihr die Tür aufzuhalten.
“Vielen Dank, Officer.”
Sein Hals rötete sich, dann sein Gesicht, und ihr Lächeln wurde noch breiter. Seth Buchanan würde diesmal keine bleiche, zitternde Frau vor sich sehen. Heute würde er die wahre Grace Fontaine kennenlernen.
Sie schlenderte auf den diensthabenden Sergeant zu und fuhr mit den Fingerkuppen über die polierte Platte seines Schreibtischs. “Entschuldigen Sie bitte?”
“Ja, Ma’am?” Sein Adamsapfel hüpfte dreimal, als er schluckte.
“Können Sie mir vielleicht helfen? Ich suche Lieutenant Buchanan. Sind Sie hier der Chef?” Sie taxierte ihn mit ihren großen Augen. “Sie müssen der Chef sein, Commander.”
“Äh, ja. Nein. Ich bin Sergeant.” Er wühlte nach einem Besucherausweis. “Ich … er ist … Sie finden den Lieutenant ein Stockwerk höher in der Kriminalabteilung. Am Ende der Treppe links.”
“Oh.” Sie ergriff den Stift, den er ihr hinhielt, und unterschrieb mit kühnem Schwung. “Ich danke Ihnen, Commander. Sergeant, meine ich.”
Sie hörte, wie er den Atem ausstieß, als sie sich umdrehte und ihm freie Sicht auf ihre Beine gewährte.
Die Kriminalabteilung war nicht schwer zu finden. Sie betrachtete die vielen Schreibtische, manche besetzt, manche nicht. Die Polizisten saßen in Hemdsärmeln in der gewaltigen Hitze, gegen die eine offenbar defekte Klimaanlage nicht viel ausrichten konnte. Eine Menge Waffen, dachte sie, eine Menge halb gegessener Mahlzeiten und leerer Kaffeebecher. Schrillender Telefone.
Sie wählte ihr Ziel sorgfältig – einen Mann mit gelockerter Krawatte, die Füße auf dem Tisch, Unterlagen in der einen und ein Gebäckstück in der anderen Hand. Als sie auf ihn zuging, brachen einige der Männer ihre Gespräche ab. Jemand pfiff leise durch die Zähne – es klang wie ein Seufzen. Graces Opfer stellte eilig die Füße auf den Boden und schluckte das Gebäckstück herunter.
“Ma’am.”
Um die dreißig, schätzte sie, obwohl sein Haaransatz schon rapide zurückging. Er wischte sich die fettigen Finger am Hemd ab und rollte leicht mit den Augen, als seine Kollegen grinsend mit den Fäusten gegen ihre Brust schlugen.
“Ich hoffe, Sie können mir helfen.” Sie sah ihn unverwandt an, nur ihn, bis ein Muskel in seinem Kiefer zu zucken begann. “Detective?”
“Ja, ähm, Carter. Detective Carter. Was kann ich für Sie tun?”
“Ich hoffe, dass ich hier richtig bin.” Sie wandte den Kopf, ließ ihren Blick durch den Raum und über die Männerköpfe schweifen, woraufhin umgehend einige Bäuche eingezogen wurden. “Ich bin auf der Suche nach Lieutenant Buchanan. Ich glaube, er erwartet mich.” Anmutig schob sie sich eine gelöste Haarsträhne hinters Ohr. “Ich befürchte, ich kenne den üblichen Ablauf nicht.”
“Buchanan ist in seinem Büro. Dahinten.” Ohne den Blick von ihr zu wenden, deutete der Detective mit dem Daumen über die Schulter. “Belinski, sag dem Lieutenant, dass sein Typ verlangt wird. Eine Miss …”
“Ich bin Grace.” Sie setzte sich auf
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