Der geheime Stern
Winzige Gesichter, manche im Schlaf entspannt, andere vor Zorn verzerrt.
Ein Paar stand neben ihm, der Mann hatte den Arm um seine Frau gelegt. “Unserer ist der Dritte von links. Joshua Michael Delvecchio. Achteinhalb Pfund. Er ist einen Tag alt.”
“Er ist großartig”, meinte Seth.
“Und welches ist Ihr Kind?”, fragte die Frau.
Seth schüttelte den Kopf. “Ich bin nur zu Besuch. Gratulation zu Ihrem Sohn.”
Er ging weiter und widerstand dabei dem Wunsch, noch einen Blick auf die in ihrer Wunderwelt gefangenen Eltern zu werfen.
Nachdem er zweimal um die Ecke gebogen war, erreichte er eine kleinere Säuglingsstation. Apparate summten, Krankenschwestern huschten leise umher. Und hinter der Scheibe befanden sich sechs leere Bettchen.
Grace saß neben einem davon, ein winziges weinendes Baby im Arm. Sie wischte eine Träne von der kleinen bleichen Wange und drückte die Lippen an den Kopf des Kindes.
Das Bild traf ihn bis ins Mark. Sie hatte das Haar zurückgebunden und trug einen formlosen grünen Kittel über ihrem Kostüm. Ihr Gesicht wirkte sanft, all ihre Aufmerksamkeit war auf die Augen gerichtet, die sie anstarrten.
“Verzeihen Sie, Sir.” Eine Schwester trat auf ihn zu. “Hier ist der Zutritt verboten.”
Die Augen noch immer auf Grace gerichtet griff Seth nach seiner Dienstmarke. “Ich bin hier, um mit Ms. Fontaine zu sprechen.”
“Verstehe. Ich sage Ihr, dass Sie da sind, Lieutenant.”
“Nein, stören Sie sie nicht.” Er wollte nicht, dass dieser wundervolle Augenblick zerstört wurde. “Ich kann warten. Was hat das Baby, das sie auf dem Arm hält?”
“Peter ist HIV-positiv. Ms. Fontaine hat dafür gesorgt, dass er hier betreut wird.”
“Ms. Fontaine?” Er spürte einen Kloß im Hals. “Ist Peter ihr Kind?”
“Nein.” Die Miene der Krankenschwester wurde weicher. “Wobei sie wahrscheinlich all diese Kinder als ihre eigenen betrachtet. Ich wüsste wirklich nicht, was wir ohne sie täten. Und ich meine nicht nur die Stiftung.”
“Die Stiftung?”
“Die Falling Star Foundation. Ms. Fontaine hat sie vor ein paar Jahren ins Leben gerufen, um schwer kranken Kindern und ihren Familien zu helfen. Aber es ist ihre Arbeit, ihre Zeit, die wirklich zählt.” Sie deutete in Graces Richtung. “Kein Geld der Welt kann eine sanfte Berührung oder das leise Vorsingen von Schlafliedern ersetzen.”
Er sah, wie das Baby sich langsam beruhigte und in Graces Armen einschlief. “Kommt sie oft her?”
“Sooft sie kann. Ms. Fontaine ist unser Engel. Sie müssen mich jetzt bitte entschuldigen, Lieutenant.”
“Danke.” Während sie davonging, trat er näher an die Glasscheibe. Grace hatte sich erhoben und lief mit dem Baby im Arm zu einem Bett. Ihre Blicke trafen sich.
Sie war nicht in der Lage, ihre Gefühle sofort zu verbergen, und er erkannte Überraschung, Verlegenheit und Ärger. Doch dann wurde ihr Gesicht ausdruckslos. Vorsichtig legte sie den Säugling zurück in sein Bettchen und strich ihm über die Wange, bevor sie durch eine Seitentür verschwand.
Es dauerte einige Minuten, bis sie in den Korridor trat. Den Kittel hatte sie abgelegt. Jetzt war sie wieder die selbstsichere Frau, die in ihrem flammend roten Kostüm und mit den dazu passend geschminkten Lippen unverwundbar wirkte. “Nun, Lieutenant, wir treffen uns wirklich an den seltsamsten Orten.”
Noch bevor sie die zwanglose Begrüßung beenden konnte, legte er eine Hand unter ihr Kinn und starrte ihr forschend ins Gesicht.
“Sie sind eine Schwindlerin”, sagte er leise. “Eine Betrügerin. Wer zum Teufel sind Sie?”
“Was immer ich sein will.” Der lange prüfende Blick aus seinen goldbraunen Augen machte sie nervös. “Ich glaube nicht, dass hier der richtige Ort für ein Verhör ist. Ich möchte, dass Sie mich jetzt loslassen”, sagte sie fest. “Keine Szene.”
“Ich habe nicht vor, eine Szene zu machen.”
Sie hob eine Augenbraue. “Aber ich vielleicht.” Sie stieß seine Hand fort und lief den Korridor entlang. “Wenn Sie den Fall mit mir besprechen wollen oder irgendwelche Fragen haben, dann lassen Sie uns hinausgehen. Das alles hat hier nichts zu suchen.”
“Es hat Ihnen das Herz gebrochen”, murmelte er. “Das Baby zu halten hat Ihnen das Herz gebrochen.”
“Na und? Es ist mein Herz.” Sie drückte heftig auf den Knopf neben dem Fahrstuhl. “Und ich habe ein starkes Herz, Seth. Das kann Ihnen jeder bestätigen.”
“An Ihren Wimpern hängen Tränen.”
“Das geht Sie
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