Der geheime Tunnel: Erotischer Krimi (Gay Erotic Mystery) (German Edition)
alle auf dem Flur standen, steckte er den Schlüssel ins Schloss und drehte um.
»Die machen keine Schwierigkeiten mehr«, kicherte er. »Und jetzt, Jungs, hier lang.«
Sie verschwanden fast lautlos die Treppe hinab und waren nicht mehr zu sehen.
Es war Zeit, mir etwas zum Überziehen zu suchen. Hier im Flur gab es genügend Kleider; sie lagen auf dem Boden, hingen vom Treppengeländer und sogar vom staubigen Kronleuchter. Ich musste mich nur bedienen. In den feinen Kreisen von Mayfair wäre ich damit wohl nicht durchgekommen, aber hier im Rookery würde es durchaus genügen. Ich mochte bizarr aussehen – schwarze Anzughosen, die mir mehrere Nummern zu groß waren, mit einer Harrow-Krawatte als Gürtel, eine Smokingjacke ohne Hemd, dafür mit einer steifen Hemdbrust, die mit einem Zelluloidkragen befestigt wurde, bloße Füße –, aber auch nicht seltsamer als einige der anderen Partygäste.
Wo war Langland hin, und was hatte er seinen Männern befohlen? Ich hatte ihm nichts von Joseph oder von der Gefahr erzählt, in der Morgan und meine anderen Freunde schwebten. Vielleicht hatte Langland mich reingelegt. Ich kam mir so unglaublich machtlos vor. Nun, da die Aufregung über mein Entkommen sich gelegt hatte, fühlte ich mich erschöpft und angeschlagen. Bei einem Kampf hätte ich keine gute Figur abgegeben.
Ich hielt mich am Geländer fest und stieg langsam die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Die dumpfen Puffer und Schreie aus dem Empfangssaal ignorierte ich. Der einzige Ausweg von dort war, aus dem Fenster zu springen – und ich bezweifelte, dass jemand dort drin es darauf anlegte, sich bei einem solchen Versuch den Hals zu brechen oder blaues Blut zu vergießen.
Unten im Flur stand, wenn auch mit verwirrtem Gesichtsausdruck, der eine Mensch, den ich mehr als alle anderen sehen wollte: Morgan. Seine Stirn war in Falten gelegt, wie ich es schon so oft beobachtet hatte, wenn er mit einem (für seine Verhältnisse) komplexen Problem rang. So benommen ich mich auch fühlte, bei diesem Anblick musste ich lächeln. Mit leichterem Herzen sprang ich die restlichen Stufen hinab.
»Morgan, Gott sei Dank!«
»Mitch!« Er sah auf zu mir, und nun wirkte er wirklich besorgt. »Oh nein –«
»Was ist denn?«
Seine Augen wurden größer, sein Mund bewegte sich, aber es kamen keine Worte heraus.
»Scheiße, Boy, haben sie Belinda geschnappt?« Ich kam näher, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Was ist los? Sag schon. Was hast du?«
Und da trat hinter einem Vorhang, ganz wie der Schwarze Mann im Albtraum eines Kindes, Joseph hervor. Er hielt eine Pistole in der Hand, und deren Lauf war auf Morgans Schläfe gerichtet.
»Ah, Mr. Mitchell.« Josephs dunkles Gesicht wirkte in diesem Licht noch teuflischer als sonst, und es hätte mich nicht gewundert, hätte man unten statt der Stiefel, die seine gesamte Garderobe darstellten, Pferdefüße gesehen. »Folgen Sie mir.«
»Es tut mir leid, Mitch«, sagte Morgan. »Er hat mich überwältigt.«
»Bist du verletzt?«
»Nein, ich bin –«
»Ruhe!«, keifte Joseph und stupste Morgan zu der untersten Treppenflucht, die in den Keller führte. »Kommen Sie mit, sonst wird es Ihrem Freund schlecht ergehen.«
Ich leistete Folge. Joseph führte uns nach unten, mit der Knarre in unserem Rücken.
Der Keller war feucht und schmutzig. Kisten voll Wein und Spirituosen stapelten sich vor Mauern, die schwarz vor uraltem Dreck und Moder waren. Kerzen brannten auf kruden Wandleuchtern und warfen flackernd groteske Schatten in der Zugluft aus unsichtbaren Quellen. Es war die Art von Kulisse, die ich mir oft für den Höhepunkt eines geheimnisvollen Falles erträumt hatte, einschließlich des finsteren Bösewichtes. Doch nun, in der Wirklichkeit, erschien mir das alles weit weniger reizvoll – trotz der Tatsache, dass mein Bösewicht attraktiv, behaart und nackt war. Ich wollte nur noch rennen: raus aus diesem Keller, raus aus diesem Haus, fort aus London, fort von all diesen Gefahren, von Grausamkeit und Tod …
Joseph winkte uns mit der Pistole in eine Ecke. Wir standen beieinander, Morgan und ich, und zitterten vor Angst. Seine Hand fand die meine, und wir hielten uns fest, um uns zu trösten. Wenn wir schon sterben mussten, dann wenigstens zusammen.
Die Zeit schien stehen zu bleiben. Im Keller war nichts zu hören außer einem gelegentlichen Tropfen, dem Zischen der Kerzendochte und unserem Atem. Von der Straße über uns drang ein schwaches Echo des Verkehrslärms zu uns.
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