Der geheime Tunnel: Erotischer Krimi (Gay Erotic Mystery) (German Edition)
Möglichkeit zu fliehen – vielleicht weniger vor uns als vor dem, was er gerade gehört hatte. Sein Magen drehte sich um, er schnappte sich eine Serviette, doch es war nichts mehr übrig, das er hätte erbrechen können.
»Er kann doch nicht … O Gott. Was ist geschehen?«
»Über die Todesursache sind wir uns noch nicht im Klaren, Sir. Er wurde in der Toilette der ersten Klasse aufgefunden.« Dickinson klang kalt und mitleidlos. Wusste er etwas über Mr. Andrews, hatte er einen Verdacht?
»Das ist ein Albtraum.«
»Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen, Mr. Andrews«, sagte ich und versuchte, ein wenig mitfühlender zu klingen.
»Machen Sie nur, alles, was Sie wissen wollen. Jetzt kommt ohnehin alles ans Licht. Mir ist egal, was aus mir wird.«
»In welcher Verbindung standen Sie zu Rhys?«, unterbrach ihn Dickinson.
»Wir haben uns beruflich kennengelernt.«
»Ich verstehe. Und welchen Beruf üben Sie aus?«
»Ich arbeite für eine große Bank in London. Rhys wollte Geld anlegen. Wir lernten uns auf einer Party in der Stadt kennen und kamen ins Gespräch.«
»Welche Art von Party?«
Andrews wirbelte herum. »Wie meinen Sie das?«
»Waren Damen zugegen?«
»Natürlich waren Damen zugegen«, erwiderte Andrews. »Oh, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Nein, es war nichts in der Art. Es war die Weihnachtsfeier, die die Bank alljährlich für bestehende und potenzielle Kunden veranstaltet. Ich war dort mit meiner Frau Christina, wir wurden Rhys vorgestellt, und wir verstanden uns prächtig. Wir sprachen über Geld und Politik. Wir waren beide zu jung, um im Krieg gedient zu haben, aber wir hatten beide einen älteren Bruder verloren. Solche Themen.«
»Er wollte Geld anlegen, sagen Sie?«, fragte Dickinson.
»Ja. Er hatte ein ziemlich erfolgreiches Geschäftsjahr –«
»Mit dem Verkauf von Diamanten?«
»Diamanten? Du lieber Himmel, nein. Versicherungen. Er ist Versicherungsmakler.«
»Er war Versicherungsmakler«, verbesserte Dickinson mit unnötiger Härte. Andrews schirmte sich die Augen mit der Hand ab und stöhnte.
»Sie sagen uns besser alles, mein Freund«, sagte ich und warf Dickinson, der ungefähr so zartfühlend wie Jack the Ripper war, böse Blicke zu. »Machen Sie sich keine Sorgen. Nichts, was Sie sagen, wird gegen Sie verwendet.«
Dickinson hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
»Es muss wohl sein«, sagte Andrews. »Nun, die Wahrheit lautet, dass unsere Freundschaft tiefer ging als zwischen einem Bankangestellten und seinem Kunden üblich ist. Er legte Geld bei uns an – eine ziemlich hohe Summe sogar –, und ich kümmerte mich darum, dass er den bestmöglichen Service bekam. Aber wir wurden auch Freunde. Er lud mich zum Tennis ein, ging mit mir reiten. Christina hatte daheim so viel mit den Kindern zu tun, dass sie wohl froh war, als ich außerhäusliche Interessen entwickelte. Rhys war ein guter Sportler, ein guter Reiter, ein ausgezeichneter Tennisspieler. Ich fand es seltsam, dass er nicht verheiratet war, aber solche Fragen stellt man nicht, und von sich aus sagte er nichts zum Thema.
Irgendwann merkte ich, dass ich mich auf unsere Treffen freute und dass ich ziemlich oft an ihn dachte. Anfangs war es durchaus unschuldig; ich dachte daran, was für ein tolles Tennismatch wir gespielt hatten, wie kraftvoll sein Aufschlag war, wie viel Vergnügen es mir bereitet hatte, seine graue Stute zu reiten. Er hatte einen Stall bei seinem Haus in Richmond. Doch dann drehten meine Gedanken sich immer stärker um ihn selbst – um sein Lächeln, um sein Blinzeln, wenn die Sonne ihn blendete, um seinen Oberkörper, wenn er nach einem anstrengenden Spiel das Hemd wechselte. Wenn ich mit meiner Frau intim war, dachte ich an ihn. Oh, Gott – ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war. Mir war nie so etwas passiert; ich war keiner der Internatsschüler, die mit der Unzucht ebenso vertraut sind wie mit Erdkunde und Latein. Ich habe solche Typen im West End gesehen, geschminkt wie die Huren – aber das hatte nichts mit mir zu tun, und auch nicht mit ihm. Ich hatte jedoch keine Zweifel über die Art der Gefühle, die ich für Rhys empfand. Ich bin kein Narr, und ich verschließe ungern die Augen vor der Wahrheit. Ich begehrte ihn, und ich ahnte, dass er dasselbe empfand.«
»Fahren Sie fort, Andrews«, sagte ich. »Nichts, was Sie erzählen, kann uns schockieren.«
»Es geschah an einem Wochenende in seinem Haus in Richmond. Er hatte mich zusammen mit Christina und den Mädchen
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