Der geheime Tunnel: Erotischer Krimi (Gay Erotic Mystery) (German Edition)
Rauch war. Ich betätigte den Lichtschalter und sah dichten weißen Nebel – anscheinend Gesichtspuder. Der Garderobentisch war in Unordnung, Stühle waren umgeworfen, und von Bertrand keine Spur.
Ich hatte keine Kampfgeräusche gehört, allerdings waren die Wände auch ziemlich dick, damit kein Lärm von hier bis zur Bühne drang.
Bertrands Eintrittskarte lag auf dem Boden, als habe er sie (absichtlich?) während eines Kampfes fallen lassen. Aber wo war er?
Ich versuchte, die Ruhe zu bewahren. Bertrand war ja schließlich ein pfiffiger Bursche; vielleicht war er einfach auf eigene Faust nach Anhaltspunkten suchen gegangen …
Aber wieso waren die Stühle umgeworfen? Warum war die Luft von Puder erfüllt? Ich wusste ganz genau, was hier passiert war: Dickinson hatte Bertrand verschleppt.
Mein erster Impuls war, aus dem Theater auf die Straße zu rennen und dort nach den beiden zu suchen – als würde Dickinson, böse kichernd wie ein Bühnenschurke, gerade den um sich schlagenden Bertrand in eine Droschke stecken und davoneilen. Nein, sie wären jetzt schon weit weg, und es war sinnlos, alleine etwas zu unternehmen. Ich brauchte Hilfe.
Ich rannte nach oben und kam keuchend in der Loge an. Der erste Akt ging gerade zu Ende, dem Himmel sei Dank. Belinda, Boy und Simmonds spendeten enthusiastischen Beifall.
»Nicht dein Fall, altes Haus?«, fragte Boy. Er wirkte leicht unruhig; er hatte sicher bemerkt, wie ich mich mit Bertrand davongeschlichen hatte, und die nächstliegende Schlussfolgerung gezogen.
»Mitch kann mit diesem romantischen Kram nicht viel anfangen«, sagte Belinda mit einem listigen Lachen. »Du bist halt ein richtiger Mann, nicht wahr, Mitch?«
Ich brachte so viel Höflichkeit auf, wie ich nur konnte, war aber ganz und gar nicht in Stimmung für gesellschaftliche Plänkeleien, auch nicht mit einer von mir so hochgeschätzten Frau wie Belinda.
»Wo ist Bertrand?«, fragte Simmonds, der ebenso missmutig wirkte wie Morgan. O Gott, das fehlte mir gerade noch: ein eifersüchtiger Nebenbuhler …
»Sie kommen besser mit.«
»Ist etwas passiert?«
»Morgan, geh mit Belinda an die Bar. Wir sehen uns später.«
»Mitch, was ist denn los?« Sein Gesicht hellte sich auf. »Gibt es Schwierigkeiten?«
»Sieht ganz danach aus.«
»Dein junger Freund … O je. Ist ihm etwas zugestoßen?«
»Ich fürchte ja.« Ich hielt Simmonds zurück, der ebenso wie ich darauf brannte, nach draußen zu eilen. »Wir müssen einen klaren Kopf bewahren. Simmonds, kommen Sie mit mir. Morgan, kümmere du dich um Belinda.«
»Nur über meine Leiche. Ich komme mit.«
»Oh, Harry!«, rief Belinda.
»Komm schon, altes Mädchen. Du kannst dich auch allein amüsieren. Hier wimmelt es doch von Leuten, die du kennst.«
»Und was werden die wohl denken, wenn ich ganz allein ohne meinen Mann umherschlendere? Das macht ja einen tollen Eindruck. Also ehrlich, Harry, da gehen wir einmal aus, und du willst gleich schon wieder davonlaufen.«
»Sie hat recht, Morgan. Du musst hierbleiben. Wir wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Wenn sie denken –«
»Sie?« Morgans Augen funkelten. »Wer sind ›sie‹? Du meinst, es gibt eine ganze Bande? Hier im Theater?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber es gibt zu viele Zufälle. Wir müssen wachsam sein. Ich brauche dich hier, Morgan, und du musst dich völlig normal benehmen, dabei aber Augen und Ohren offen halten. Siehst du die alte Schachtel da unten?«
»Wer, die mit dem Hühnerarsch auf dem Hut?«
»Harry!«
»Genau die. Das ist Lady Antonia Petherbridge. Sie war im Zug. Beobachte sie mit Adleraugen.«
Belinda sah sich um. »Ach ja!« Sie winkte Lady Antonia zu; die große Dame neigte im Gegenzug ihren Kopf. »Wir kennen sie, Schatz. Sie war auf unserer Hochzeit.«
»Ja?« Morgan sah sie mit freundlichem Lächeln an. »Ach ja. Die. Die lag mir eine halbe Stunde damit in den Ohren, dass die Juden alle Banken übernehmen würden.«
»Das klingt ganz nach ihr.«
»Sie stammt aus einer sehr alten Familie«, sagte Belinda.
»Diese alten Familien sind oft ziemlich weich in der Birne«, sagte Morgan.
»Ich möchte, dass ihr sie in ein Gespräch verwickelt. Lasst sie nicht weg. Hat sie ihre Zofe bei sich, eine nachlässig gekleidete Frau namens Chivers?«
»Ich kann keine sehen, nein«, sagte Belinda, »nur ein paar andere alte Damen. Oh, warte mal. Das ist doch Rotha Dingsbums. Du weißt, die Frau, die ständig in der Zeitung ist. Die Faschistin. Und das da ist ihr Handlanger.
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