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Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Titel: Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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gedämpftes Lachen.
    Auf steifen, verkrampften Beinen wanke ich auf den Menschenauflauf zu und bahne mir einen Weg durch die Menge. Das Affchen des Drehorgelspielers springt vom Dach herunter, neigt seinen Kopf nach links und rechts und beäugt neugierig den am Boden liegenden Leichnam. Die Letzten, die noch vor mir sind, machen mir Platz. Ich ne h me eine Einzelheit nach der anderen wahr. Einen umg e drehten Schuh mit abgebrochenem Absatz. Eine gespreizte Hand, die Finger starr und steif. Den Inhalt einer Handt a sche verstreut im Schmutz. Einen nackten Hals, der aus dem Mieder eines blauen Kleides herausschaut. Die viel gerühmten grünen Augen offen und leer. Mutters Mund leicht geöffnet, als habe sie noch etwas sagen wollen, b e vor sie starb.
    Gemma.
    Eine dunkelrote Blutlache breitet sich unter ihrem lebl o sen Körper aus. Das Blut sickert in die staubige, rissige Erde und erinnert mich an Kali, die dunkle Göttin, die Blut vergießt und Knochen zermalmt. K a li, die Vernichterin. Meine Schutzpatronin. Ich schließe die Augen und wü n sche mir, das alles möge sich in nichts auflösen.
    Es ist nicht wahr. Es ist nicht wahr. Es ist nicht wahr.
    Aber als ich die Augen öffne, ist sie immer noch da und starrt mich anklagend an. Es ist mir egal, ob du überhaupt wieder nach Hause kommst. Das war das Letzte, was ich zu ihr gesagt habe. Bevor ich weggerannt bin. Bevor sie mir gefolgt ist. Bevor ich sie in einer Vision habe sterben s e hen. Eine p lötzl i che Taubheit zieht meine Arme und Beine nach u n ten. Ich sinke zu Boden, wo das Blut meiner Mutter den Saum meines besten Kleides tränkt. Und dann bricht der Schrei, den ich bis jetzt zurückgehalten habe, aus mir heraus, ohrenbetäubend und schrill wie das Pfeifen des Z u ges. Im selben Moment öffnet sich der Himmel und ein ungeheurer Regen strömt herab, der jeden Laut erstickt.

 
    Zwei Monate später
     

     
    London, England

3. Kapitel
     
    » V i ctoria Station!«
    Ein stämmiger Schaffner in einer blauen Uniform geht von Abteil zu Abteil und verkündet, dass wir gleich in London ankommen werden. Der Zug wird lan g samer. Dichte Dampfwolken ziehen in Schwaden am Fen s ter vorbei und lassen alles draußen wie einen Traum e r scheinen.
    Mein Bruder Tom, auf dem Platz mir gegenüber, wacht auf, streicht seine schwarze Weste glatt und prüft penibel, ob seine Kleidung in Ordnung ist. In den vier Jahren, die wir getrennt w a ren, ist er sehr in die Höhe geschossen und seine Brust ist ein wenig breiter geworden, aber er ist i m mer noch dünn und mit seiner blonden Haarlocke, die ihm modisch über seine blauen Augen fällt, wirkt er jünger als zwanzig. »Mach kein so finsteres G e sicht, Gemma. Du wirst nicht ins Zuchthaus gesteckt. Spence ist eine sehr g u te Schule und steht in dem Ruf, bezaubernde junge Damen hervorzubringen.«
    Eine sehr gute Schule. Bezaubernde junge Damen. Es ist Wort für Wort das, was meine Großmutter sa g te, nachdem wir zwei Wochen auf Pleasant House, ihrem englischen Landsitz, verbracht hatten. Sie hat te mich mit einem la n gen, zwei f el nden Blick b e trachtet, meine sommersprossige Haut und die widerspenstige Mähne roten Haars, mein ve r drießliches Gesicht, und war zu dem Schluss gekommen, ein anständiges Mädchenpensionat mü s se her, wollte ich je auf eine passende He i rat hoffen. »Ein Wunder, dass du nicht schon vor Jahren nach Hause geschickt wurdest«, meinte sie. »Jeder weiß, dass das Klima in Indien schlecht fürs Blut ist. Ich bin sicher, das wäre auch der Wunsch de i ner Mutter gewesen.«
    Ich hätte sie gern gefragt, wie sie wissen könne, was der Wunsch meiner Mutter war, aber ich biss mir auf die Zu n ge und unterdrückte die Frage. Meine Mutter wollte, dass ich in Indien blieb. Ich wollte unbedingt nach London und jetzt, wo ich hier bin, könnte ich gar nicht unglücklicher sein.
    Drei Stunden lang, während der Zug auf seiner Fahrt durch grünes, hügeliges Weideland Meile um Meile z u rücklegte und der Regen eintönig gegen die Fenstersche i ben prasselte, hatte Tom geschlafen. Und ich hatte an das gedacht, was ich zurückgelassen hatte. Die heiße Ebene Indiens. Die Fragen der Polizei: Hatte ich jemanden ges e hen? Hatte meine Mutter Feinde? Was hatte ich allein auf der Straße gemacht? Und was war mit dem Mann, der sie auf dem Mark t platz angesprochen hatte –ein Kaufmann namens Amar? Kannte ich ihn? Waren er und meine Mu t ter (und dabei blickten sie verlegen drein und traten von einem Fuß

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