Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Mademoiselle LeFarge.
»Meine Gnädigste, leider muss ich Ihnen sagen, dass das alles ein Schwindel ist. Zaubertricks, sonst nichts.«
»O nein, Sir, Sie irren sich«, schaltet sich Martha ein. »Mademoiselle LeFarge hat selbst gesehen, wie Madame Romanoff in einem Trancezustand gespr o chen hat.«
»Wirklich?«, fragt Pippa und macht große Augen.
»Ich habe über ihre seherische Gabe von einer Cousine gehört, die eine enge Vertraute einer guten Freundin der Schwägerin von Lady Dorchester ist«, erklärt Mademoise l le LeFarge. »Sie ist ein wahrhaft bemerkenswertes Med i um.«
Der Herr lächelt. Sein Lächeln ist freundlich und war m herzig, genau wie Mademoiselle LeFarge. Schade, dass sie verlobt ist, denn der Mann gefällt mir und ich denke, er würde einen reizenden Eh e mann abgeben.
»Ich bedaure, liebe gnädige Frau, liebe Mademo i selle«, sagt er, das Wort in die Länge ziehend, »dass Sie getäuscht worden sind. Spiritismus ist genauso wenig eine Wisse n schaft wie Diebstahl. Kurz gesagt –für ein Fünkchen Hoffnung stehlen sehr geschickte Gauner Geld von den Hinterbliebenen. Die Me n schen sehen genau das, was sie sehen wollen, um weiterleben zu können.«
Mir zieht sich das Herz in der Brust zusammen. Sehe ich meine Mutter nur, weil ich sie sehen will? Kann Trauer so übermächtig sein? Und trotzdem, der Streifen Stoff. Ich kann nur hoffen, dass ich bis zum Ende des Abends über irgendetwas Gewissheit haben werde.
Mademoiselle LeFarges Mund ist ein dünner Strich. »Sie sind im Irrtum, Sir.«
»Ich habe Sie aus der Fassung gebracht. Bitte ve r zeihen Sie. Inspektor Kent von Scotland Yard.« Er überreicht ihr eine geprägte Visitenkarte, die anzunehmen sie sich we i gert. Gelassen steckt er sie in seine Brusttasche zurück. »Gewiss sind Sie hier, um Kontakt mit einem geliebten Menschen aufzunehmen? Einem Bruder oder einem ve r storbenen Co u sin, der Ihnen lieb und teuer war?« Er sucht einen Anknüpfungspunkt, aber Mademoiselle LeFarge merkt nicht, dass er an mehr interessiert ist als an ihrer Voreingenommenheit für das Okkulte.
»Ich bin lediglich aus wissenschaftlichem Intere s se und als Begleiterin meiner Schützlinge hier. Und wenn Sie jetzt bitte entschuldigen wollen, die Seance scheint gleich zu beginnen.«
Männer eilen an beiden Seiten des Raums entlang, um die Lichter zu dämpfen. Sie tragen schwarze Hemden mit hohen Kragen und dunkelrote Schärpen um die Mitte. Eine stattliche Frau in einem lang fließenden, tannengrünen Gewand betritt die Bühne. I h re Augen sind kohlschwarz umrahmt und auf ihrem Kopf prangt ein Turban mit einer einzelnen Pfaue n feder. Madame Romanoff.
Sie schließt die Augen und hebt eine Hand, lässt sie über die Köpfe des Publikums wandern, als fühle sie uns. Als sie die linke Seite des großen Raums e r reicht, öffnet sie die Augen und heftet ihren Blick auf einen klobigen Mann in der zweiten Reihe.
»Sie, Sir. Die Geister wünschen mit Ihnen zu kommun i zieren. Bitte kommen Sie und nehmen Sie neben mir Platz«, sagt sie mit einem schweren russ i schen Akzent.
Der Mann gehorcht und setzt sich an den Tisch. Madame Romanoff starrt in die Kristallkugel und ihre Glieder we r den schlaff. In diesem Zustand spricht sie zu dem Mann. »Ich habe eine Botschaft für Sie von der anderen Seite …«
Der Mann auf der Bühne beugt sich gespannt, vor Au f regung schwitzend, nach vorn. » Ja! Ich höre. Ist sie von meiner Schwester? Bitte, Dora, bist du es?«
Madame Romanoffs Stimme klingt hell und lie b lich wie die eines kleinen Mädchens. »Johnny, bist du ’ s?«
Ein Schrei der Freude und Verzückung entfährt den Li p pen des Mannes. »Ja, ja, ich bin es, meine liebste, liebste Schwester!«
»Johnny, du brauchst nicht zu weinen. Ich bin sehr glücklich hier, mit all meinen Spielsachen um mich he r um.«
Wir lauschen staunend, mit offenem Mund. Dort vorn auf der Bühne feiern der Mann und seine kleine Schwester eine herzzerreißende Wiedervereinigung, mit Tränen und Versicherungen unsterblicher Liebe. Ich kann kaum stil l sitzen. Ich möchte, dass es bald zu Ende ist, damit ich den Platz des Mannes einne h men kann.
Der Inspektor hinter uns beugt sich vor und sagt: »Glä n zende Vorstellung. Dieser Mann ist natürlich ein Kompl i ze.«
»Wie das?«, fragt Ann.
»Sie geben ihm einen Platz im Publikum, sodass er wie ein ehrlich Betroffener erscheint. Aber in Wirklichkeit spielt er nur seine Rolle.«
»Wenn Sie erlauben, Sir?« Mademoiselle
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