Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
e schlungen.
Sie wehrt sich. »Gemma, was ist in dich gefahren? Lass mich!« Sie reißt sich los. Das Wasser reicht ihr nur bis an die Schultern. »Ich kann von hier allein gehen, danke«, sagt sie ungehalten, tunlichst bemüht, das kichernde, mit Fingern zeigende junge Gemüse auf der anderen Seite des Weihers zu ignorieren.
Ich komme mir lächerlich vor. Mir steht noch meine Vis i on vor Augen: Pippa, die unter Wasser gegen das Ertri n ken kämpft. Vielleicht war ich so in Panik, dass mich meine E r innerung trügt. Aber was soll ’ s, Hauptsache, wir sind be i de heil und gesund, abgesehen davon, dass wir tropfnass sind.
»Ich werd dich erwürgen, Felicity«, murmelt Pippa, u n sicher im Wasser balancierend. Ich umarme sie vor E r leichte r ung, dass sie wohlauf ist, und ziehe sie fast wieder unter Wasser.
»Was fällt dir ein?«, kreischt Pippa und schlägt nach mir wie nach einer Spinne.
»Entschuldige«, sage ich. »Tut mir leid.«
»Ich bin von lauter Geistesgestörten umgeben«, knurrt sie, während sie aufs Gras kriecht. »Wo ist Felicity übe r haupt?«
Das Ufer ist verlassen. Als hätte sie sich in Luft aufg e löst. Aber dann sehe ich sie im Wald ve r schwinden, mit dem Gänseblümchenkranz auf dem Kopf. Sie entfernt sich leichtfüßig und gleichgültig, ohne auch nur einen Blick z u rückzuwerfen, ob wir wohlauf sind.
21. Kapitel
A u f dem von Hand geschriebenen Plakat vor dem elega n ten Wohnhaus in Grosvenor Square steht:
Ein Abend der Theosophie und des Spiritismus
Mit Madame Romanoff, Grossseherin von
Sankt Petersburg
Sie weiss alles
Sie enthüllt alles
Nur eine Vorstellung
Die Straßen von London gleichen einem impressionist i schen Gemälde, mit ihrem glitschigen Kop f steinpflaster, orangefarbenen Straßenlaternen, sorgsam gestutzten H e cken und Trauben schwarzer R e genschirme. Pfützenwasser bespritzt meinen Roc k saum und zieht ihn durch die Nässe beschwert nach unten. Wir flüchten uns in das offene Haustor, unsere dünnen Ausgehschuhe hinterlassen zierl i che Abdr ü cke auf dem Pflaster.
Das Pu b likum hat sich herausgeputzt, man zeigt, wer man ist. Die Männer tragen Smoking und Zyli n der. Die Frauen p räsentieren ihre Edelsteine und te u re Handschuhe. Wir haben ebenfalls unsere allerbe s ten Sachen an. Es ist ein seltsames, wundervolles G e fühl, in Seidenkleidern mit Unterröcken daherz u kommen statt in unseren gewohnten Schuluniformen. Cecily hat die Gelege n heit genutzt, einen neuen Hut auszuführen. Er steht ihr überhaupt nicht, aber er ist der letzte Modeschrei und sie hat sich in den Kopf gesetzt, ihn zu tragen. Mademoiselle LeFarge hat ihren schönsten Son n tagsstaat angelegt, ein grünes Seidenkleid mit einem hohen Rüschenkragen, eine grüne Seidenhaube und ein Paar lange Granatohrri n ge, und wir sparen nicht mit Worten der Bewund e rung.
»Sie sehen einfach fantastisch aus«, sagt Pippa, als wir das eindrucksvolle, von aufmerksamen Butlern wimmelnde Marmorfoyer betreten.
»Danke, meine Liebe. Es ist immer wichtig, das Beste aus sich zu machen.«
Cecily strahlt, sie ist überzeugt, das Kompliment gelte ihr.
Durch schwere Vorhänge werden wir in einen Vortrag s saal geführt, der gut zweihundert Personen fasst. Pippa ve r renkt sich den Hals, um das Publikum zu inspizieren. »Seht ihr hier irgendwelche attrakt i ven Männer? Irgendjemand unter vierzig?«
»Ehrlich«, sagt Felicity verächtlich, »dich intere s siert selbst am Jenseits in erster Linie, ob du dort e i nen Mann finden kannst.«
Pippa zieht einen Schmollmund. »Mademoiselle LeFa r ge nimmt das sehr ernst und ich habe noch nie bemerkt, dass du dich über sie lustig machst ! «
Felicity rollt mit den Augen. »Mademoiselle L e Farge hat uns aus Spence herausgeholt und an eine der vornehmsten Adressen Londons geführt. Von mir aus könnte sie sich die Augen nach Heinrich dem Achten ausschauen. Außerdem haben wir eine Mi s sion, wie du weißt.«
Mademoiselle LeFarge lässt ihre üppige Fülle in einen roten Polstersessel gleiten und wir verteilen uns um sie herum. Die Leute nehmen langsam ihre Plätze ein. Vorne ist eine kleine Bühne aufgebaut, mit einem Tisch und zwei Stühlen. Auf dem Tisch liegt eine Kristallkugel.
»Mithilfe dieser Kristallkugel nimmt sie Kontakt mit den Geistern der Verstorbenen auf«, flüstert uns Mademoiselle LeFarge zu, während sie das Pr o gramm studiert. Ein Herr hinter uns hört, was wir flüstern, und beugt seinen Kopf zu
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