Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
LeFarge f ä chert sich mit ihrem Programm Luft zu.
Inspektor Kent lehnt sich in seinen Stuhl zurück. Ich kann mir nicht helfen, er gefällt mir, mit seinen breiten Händen und dem dichten Schnurrbart, und ich wünschte, Mademoiselle LeFarge würde ihm wenigstens eine kleine Chance geben. Aber sie hält ihrem Reginald, ihrem g e heimnisvollen Verlobten, die Treue, wie es sich gehört –auch wenn wir bis jetzt nichts von ihm gesehen haben und er noch kein einziges Mal zu Besuch gekommen ist.
Nachdem sie ein Glas Wasser getrunken hat, ruft M a dame Romanoff noch ein paar Leute aus dem Publikum zu sich. Bei einigen stellt sie meiner Me i nung nach ziemlich plumpe Fragen, aber die trauer n den Hinterbliebenen hegen keinen Argwohn und erzählen bereitwillig ihre Geschic h ten. Fast scheint es, als würde sie sie dazu bringen, die Antworten selbst zu liefern. Ich habe bisher noch nie ein Medium in Aktion g e sehen und bin mir nicht sicher.
Felicity beugt sich herüber und flüstert mir ins Ohr: »Bist du bereit?«
Mein Magen schlägt einen Purzelbaum. »Ich gla u be ja.«
Mademoiselle LeFarge ermahnt uns, still zu sein. Eliz a beth und Cecily schauen uns misstrauisch an. Madame Romanoff bittet einen letzten Kandidaten oder eine Kand i datin auf die Bühne. Blitzartig schießt Felicity von ihrem Sitz und zerrt mich am Arm hoch.
»Oh, bitte, Madame«, sagt sie, scheinbar den Tränen n a he, obwohl sie in Wirklichkeit gegen einen Lachkrampf ankämpft. »Meine Freundin ist viel zu schüchtern, um sich an Sie zu wenden. Könnten Sie bitte einem Mädchen he l fen, seine liebe verstorbene Mutter, Mrs Sarah Rees-Toome, zu erreichen?«
Ein Gemurmel, durchsetzt mit Ausrufen der Überr a schung, erhebt sich. Mir stockt der Atem. »Das war unn ö tig«, zische ich.
»Du willst doch, dass es glaubhaft ist, oder nicht?«
»Mädchen, setzt euch sofort wieder hin!« Mad e moiselle LeFarge zieht an meinem Rock. Aber es nützt nichts. Fel i citys flehende Bitte hat bei Mad a me Romanoff eine Saite an g eschlagen. Zwei ihrer Helfer eilen herbei und schieben mich den Gang en t lang nach vorn. Ich weiß nicht, ob ich Felicity u m bringen oder ihr dankbar sein soll. Vielleicht habe ich die Möglichkeit, auch mit meiner echten Mutter Kontakt aufzunehmen. Meine Hände schwitzen bei dem Gedanken, in wenigen Augenblicken wieder mit meiner Mutter zu sprechen –sei es auch nur durch ein Medium und den Geist von Sarah Rees-Toome.
Ich höre das Rascheln der Programme, als ich die kleine Bühne betrete, das Gesumm flüsternder Stimmen, gemischt mit Seufzern der Enttäuschten, die nun keine Chance mehr haben, mit den Toten zu sprechen, weil ihnen ein rothaar i ges Mädchen zuvo r gekommen ist, dessen grüne Augen vor Hoffnung glänzen.
Madame Romanoff fordert mich auf, mich zu setzen. Auf dem Tisch steht eine aufgeklappte Tasche n uhr, die 19.48 Uhr zeigt. Madame Romanoff streckt die Hände über den Tisch und birgt meine Hand in ihren beiden. »Liebes Kind, du hast großes Leid e r fahren, fürchte ich. Wir alle müssen diesem jungen Mädchen helfen, ihre geliebte Mu t ter zu finden. La s sen Sie uns die Augen schließen und uns auf die Hi l fe für unsere kleine Freundin konzentrieren. Nun sag, wie ist der Name der teuren Verblichenen?«
Virginia Doyle. Virginia Doyle. Meine Kehle ist ausg e dörrt und schnürt sich zusammen, als ich sage: »Sarah Rees-Toome.«
Madame Romanoff lässt ihren Finger über die Glaskugel gleiten und senkt ihre Stimme in eine ti e fere Tonlage. »Ich r ufe jetzt den Geist von Sarah Rees-Toome, über alles g e liebte Mutter. Hier ist j e mand, der Sie zu kontaktieren wünscht. Jemand, der Ihrer Anwesenheit bedarf.«
Für einen Moment erwarte ich fast, dass mir Sarah sagt, ich soll verduften, ich soll sie in Ruhe lassen, nicht länger so tun, als ob ich sie kenne. Aber haup t sächlich hoffe ich, dass ich jetzt gleich die Stimme meiner Mutter hören we r de, die über mein doppeltes Spiel lacht und mir alles ve r zeiht, sogar diesen kle i nen Schwindel.
Von jenseits des Tisches, aus Madame Romanoffs Ke h le, kommt ein tiefes Brummen, das zu einem m e lodischen Singsang anschwillt. »Liebling, bist du ’ s? Oh, ich habe dich so sehr vermisst.«
Jetzt erst merke ich, dass ich vor lauter Spannung ve r gessen habe zu atmen. Mein Herz klopft wild in meiner Brust und ich kann meinen Aufschrei nicht zurückhalten.
»Mutter, bist du es?«
»Ja, mein Schatz, ich bin es, deine dich zärtlich liebende Mutter.« Im
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