Der Geheimnistraeger
sahen Møller an.
»Warum?«, fragte Henning.
»Er bringt sie vielleicht dazu, sich zu öffnen.«
»Aber Paulsen könnte doch ihr Komplize sein.«
»Glaubst du das?«, fragte Møller.
»Nein«, erwiderte Thord Henning. »Aber ich kann schließlich nicht alles wissen. Theoretisch wäre alles möglich.«
»Falls Paulsen irgendwie in ihre Machenschaften verwickelt ist, braucht das im Augenblick gar kein Nachteil zu sein. Das könnte seine Chance sein, sozusagen die Seiten zu wechseln. Er könnte sie dazu bringen, über Dinge zu reden, die sie sonst nicht erzählen würde. Also ein Gespräch statt einer formellen Vernehmung.«
Thord Henning wandte sich an Skov. »Was meinst du?«, fragte er.
»Dass wir es versuchen sollten«, erwiderte dieser.
Es dauerte über eine Stunde, bis Møller Vincent Paulsen in Tisvildeleje ausfindig gemacht hatte. Møller bat ihn, nach Kopenhagen zurückzukehren. Paulsen wollte wissen, ob ihn Møller, sein alter Freund, jetzt ebenfalls verhören sollte. Seine Stimme klang traurig. Møller antwortete, dass es um dieselbe Sache gehe, aber auch wieder nicht. Er würde es ihm erklären, wenn er da sei.
Man hatte entschieden, dass Skov, Møller und Christian gemeinsam mit Paulsen sprechen und ihn nötigenfalls überreden
sollten. Es ging darum, den richtigen Ton zu treffen. Sie erkannten an Paulsens Körpersprache, dass er sehr misstrauisch war, als er ihnen gegenübertrat. Seine alten Kollegen. Waren sie jetzt für oder gegen ihn?
Skov erklärte, was vorgefallen war. Paulsen schwieg lange.
»Glaubst du, dass ich in diese Sache verwickelt bin?«, fragte er dann.
»Nein«, antwortete Skov. »Niemand, der dich kennt, glaubt das.«
»In diesem Fall möchte ich, dass das Ermittlungsverfahren gegen mich eingestellt wird. Ihr müsst euch entscheiden, ob ich ein nützlicher Idiot bin, dem man an allem die Schuld geben kann, oder euer Retter in der Not. Ich habe nicht die Absicht, beide Rollen zu spielen.«
»Das können nicht wir entscheiden, das weißt du«, erwiderte Skov.
»Ich weiß«, sagte Vincent. »Du musst also weiter nach oben. Bis zum Ministerpräsidenten, scheint mir.«
»Paulsen …«
Vincent hob beide Hände.
»Ich rede mit Lydia«, sagte er, »wenn die Ermittlung gegen mich eingestellt und der Verdacht gegen mich fallengelassen ist. Vorher nicht.«
Skov erhob sich und verließ das Zimmer. Møller lächelte Vincent schwach an. Christian nickte leicht.
Eine Stunde später saßen sich Vincent und Lydia in einem der Vernehmungsräume gegenüber. Paulsen fragte, wie es ihr gehe.
»Gut«, antwortete sie. »Ich bin jetzt in den Händen anderer. Mein Kampf ist zu Ende.«
»Vielleicht nicht«, erwiderte Vincent. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Ich helfe dir, wenn ich kann«, sagte Lydia.
»Über eine Sache habe ich viel nachgedacht«, sagte Vincent. »Dänemark erlaubt dir nicht zu bleiben und eine von uns zu werden. Trotzdem hast du dein Leben riskiert, um gegen die Terroristen zu kämpfen. Du hast für uns gekämpft. Warum?«
»Ich kann nur auf meine Art antworten. Sie haben uns mit Gewalt überwältigt. Mich genauso wie alle anderen in Korsør. Das konnte ich nicht akzeptieren.«
»Wusstest du, dass die anderen Soldaten kommen würden?«
»Ich wusste, dass früher oder später jemand kommen würde. Aber ich glaubte, dass es Dänen sein würden.«
»Aber warum hast du nicht gewartet?«
»Ich konnte nicht.«
»Als du die Terroristen auf dem Kai erschossen hast, was hast du da empfunden?«
»Ich habe mich frei gefühlt.«
Vincent nickte. »Erzähl mir, wer Farida ist«, sagte er.
»Der andere Polizist hat auch nach Farida gefragt. Warum ist sie wichtig?«, fragte Lydia.
»Sie kommt aus Sewastopol und will die Brücke sprengen«, sagte Vincent. »Wer ist sie?«
»Ich weiß nicht.«
»Bist du Farida?«
»Nein, Vincent.«
Zum ersten Mal hatte sie seinen Namen ausgesprochen. Sie hatte ihm geantwortet. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Lydia brach das Schweigen.
»Farida kommt aus Sewastopol und soll die Brücke sprengen. Ist es so?«
»Ja«, sagte Vincent. »Am Sonntag wird es geschehen.«
»Als Kind habe ich in einem Dorf in der Nähe von Suchumi gewohnt«, sagte sie. »Das lag an der Küste am Schwarzen
Meer. Am Sonntag sind wir immer fischen gefahren. Mein Vater hatte ein kleines Boot, ein Ruderboot. Das hieß Amira genau wie ich.«
Vincent sah sie lange an. Sie saß ganz still vor ihm und wich seinem Blick nicht aus.
»Danke«, sagte er und
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