Der Geheimnistraeger
aushilfsweise als Taxifahrer durchgeschlagen. Die Wohnung am Karlavägen hatte er verkauft. Der Gewinn daraus war aufgebraucht. Im Augenblick wohnte er in einer Zweizimmerwohnung in Tullinge.
»Und wer ist dieser ungewöhnlich hellsichtige Kunde?«, wollte Espen wissen.
»Der Auftrag kommt aus den USA, via Hauptverwaltung.«
»Du sagst also, dass sich jemand an die Zentrale von Compton & Floyd in Chicago gewandt und verlangt hat, dass ich einen speziellen Auftrag übernehme?«
»Unser CEO hat mich zehn Minuten vor meinem Anruf bei dir angerufen.«
Espen Krogh stieß einen leisen Pfiff aus. Langsam gefiel ihm die Sache immer besser.
»Und … worum geht es?«
»Um George Woods. Falls du dich erinnerst.«
Espen Krogh erinnerte sich. George Woods war Aufsichtsratsvorsitzender bei einem der größten Waffenhersteller der USA. Espen hatte zu einer Gruppe gehört, die drei Angestellte des Unternehmens aus den Händen von Guerillas in Kolumbien befreit hatte. Einer der Gekidnappten war Woods’ Schwiegersohn. Die Lösegeldforderung war astronomisch gewesen. Die Kidnapper waren so weit gegangen, damit zu drohen, dem Schwiegersohn eine Hand abzuhacken, um den Ernst ihrer Drohung zu untersteichen. Espen hatte ihnen dies ausreden können. »Stellt euch vor, er verblutet euch«, hatte er gesagt. »Wir wollen ihn dann zwar immer noch zurück, aber für eine Leiche bezahlen wir nur zehn Prozent.«
Espen hatte Woods anschließend kennengelernt. Ein Mann, den er eher für den Baseball-Trainer der Jungs aus dem Viertel als für einen eiskalten Waffenhändler gehalten hätte. Er war Espen sehr dankbar gewesen. »Wir werden Sie immer in unser Gebet einschließen«, hatte Woods gesagt.
»Ist dem Schwiegersohn wieder etwas zugestoßen?« Espen war ernst geworden. Zynismus auf Kosten der Opfer gestattete er sich nach dem, was Janina Martinsson zugestoßen war, nicht mehr.
»Es geht um Woods selbst. Man hat ihn in Korsør als Geisel genommen.«
»Du machst wohl Witze? Hat man ihn in Dänemark gekidnappt? «
Stellan Wall sah Espen lächelnd an.
»Du willst doch nicht im Ernst behaupten, dass du nicht weißt, was heute passiert ist?«, sagte er.
Das wusste Espen Krogh tatsächlich nicht. Er hatte den ganzen Tag in seiner Zweizimmerwohnung in Tullinge weder Radio noch Fernseher eingeschaltet.
Wall berichtete. Espen dachte, dass die Sitten in seiner alten Heimat bedeutend rauer geworden waren, seit er vor dreißig Jahren den Volvo in Brand gesteckt hatte.
»Was tut oder tat ein Mann wie Woods in Korsør?«, wollte Espen wissen.
»Er hat Golf gespielt.«
»Golf gespielt. Das erklärt alles.«
»Man will, dass du dich nach Korsør begibst und ihn befreist«, sagte Wall. »Ich habe zu unserem CEO gesagt, dass Dänemark nicht Kolumbien ist, dass es dort Gesetze und Regeln gibt und Behörden, die es nicht sonderlich schätzen, dass sich Leute wie wir einmischen. Dass wir eine Genehmigung brauchen. Ich sagte auch, dass du nicht mehr für uns arbeitest. Ich
sagte, ich hätte dich vor einigen Jahren nach einem katastrophalen Einsatz rausgeschmissen und dass auf dich kein Verlass sei.«
»Ungemein liebenswürdig«, meinte Espen. »Ich glaube, ich sollte dich zu meinem Manager machen. Das Gehalt würde dann allerdings eher bescheiden ausfallen.«
»Ich bin dem Unternehmen und nicht dir gegenüber loyal, Krogh.«
»Aber das hat dir offenbar nichts genützt, sonst säße ich jetzt nicht hier. Blöd gelaufen, was, Wall?«
»Mein CEO nannte eine Summe. Diese Summe will der Auftraggeber dafür bezahlen, dass wir dich hinschicken. Nur dich.«
» Money talks, bullshit walks «, sagte Espen und lächelte breit. »Funktioniert überall. So let’s talk money . Was kriege ich?«
»Was willst du?«
»Dänemark scheint ein gefährliches Land geworden zu sein«, meinte Espen, »mit aggressiven Behörden, die nicht davor zurückschrecken, harmlosen Leuten wie mir ein Bein zu stellen. Eine stattliche Summe will ich also durchaus.«
Stellan Wall seufzte. »Hunderttausend garantiert. Eine Million bei Erfolg.«
»Eine Million?« Espen fiel nichts Besseres ein, als die Summe wie ein Junge, dem man gerade das erste Taschengeld versprochen hat, zu wiederholen.
»Ja«, sagte Wall. »Eine Million. Dollar.«
»Dollar?«, wiederholte Espen. Er erinnerte sich an den Vorabend. Er war bis zwei Uhr nachts Taxi gefahren. Ein angeheiterter, gutmütiger Kunde hatte ihm fünfzig Kronen Trinkgeld gegeben. Er hatte diese fünfzig Kronen gebraucht.
»Ich
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