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Der Geheimnistraeger

Der Geheimnistraeger

Titel: Der Geheimnistraeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kanger
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dachte Vincent.

    Das Gespräch dauerte länger, als er geplant hatte. Ihm fiel auf, wie sachlich sie war. Der Krieg war in die idyllische Kleinstadt gekommen. Vielleicht war das in Lydias Leben die Normalität ? Sie erzählte, und er hörte zu. Sie wollte das Gespräch nicht beenden. Er versprach ihr, sie bald wieder anzurufen.
    Anschließend erwog er, Skov Lydias Telefonnummer zu geben. Vermutlich kannte sie sich besser als jede andere Person in Korsør mit Belagerungen aus, zumindest mit solchen, die nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hatten. Er unterließ es dann aber. Es würde zu schwierig sein, Skov den Zusammenhang zu erklären.
    Er erhob sich und trat auf den Korridor. Er war leer. Ein paar Türen weiter klopfte er an. Dort saß Christian zusammen mit Maria Morale und Maresciallo Carlis. Vincent überlegte sich, wie Carlis wohl mit Vornamen hieß, unterließ es dann aber zu fragen.
    »Es scheint Paolo Rocca zu sein, der in Kopenhagen gefallen ist«, sagte Maria Morale ohne die geringste Ironie.
    Hier hat man Respekt vor seinen Feinden, dachte Vincent. Gut. Man soll seine Gegner nicht verachten. Das führt nur zu Selbstüberschätzung.
    »Wir müssen das aber noch mit Hilfe der DNA bestätigen lassen«, gab Paulsen zu bedenken. »Aber alles, was wir bislang wissen, deutet daraufhin.«
    »Dann stellt sich die Frage«, sagte Morale, »warum er ermordet wurde? Da weder Sie noch wir das Motiv kennen, schlage ich vor, dass wir unser Material gemeinsam durchgehen. Lassen Sie uns den Magnetismus suchen.«
    Vincent fragte sich, was sie meinte. Morale sah seinen Blick und beantwortete seine unausgesprochene Frage.
    »Anziehung. Wer wird von wem angezogen? Wie sehen die Kraftfelder aus? Wann wurde der Kontakt etabliert? Wie lässt
es sich erklären, dass sich ein Pol um 180 Grad dreht und Abstoßung entsteht?«
    »Sie setzen voraus, dass er von seinen Genossen ermordet wurde«, wandte Christian ein. »Könnten es nicht unsere Kollegen gewesen sein, die seinem Treiben Einhalt gebieten wollten?«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Morale. »Könnten Sie das bitte näher erklären.«
    »Sie sagten, Rocca sei im Nahen Osten gewesen. Unsere Freunde aus Israel haben schon früher Talent für pyrotechnische Effekte bewiesen.«
    Maria Morale sah Maresciallo Carlis an. Sie nickte ihm leicht zu.
    »Viele Informationen über Rocca stammten in den vergangenen Jahren vom Shin Bet. Sie waren uns dabei behilflich, uns einen Überblick über seine Kontakte im Nahen Osten zu verschaffen. Ich weiß recht wenig darüber, wie die Israelis dabei vorgegangen sind, und das Wenige, was ich weiß, darf ich leider nicht preisgeben. Aber ich bezweifle sehr, dass sie uns erst dabei hätten behilflich sein wollen, ihn festzunehmen, um ihn dann in Dänemark, in einem ihnen freundlich gesinnten Land, zu ermorden. So etwas macht man in Syrien, aber nicht in Kopenhagen. Das wäre ungemein riskant, und es fällt mir selbst als Hypothese schwer, mir vorzustellen, warum die Israelis es nicht vorgezogen hätten …«
    Carlis machte eine Kopfbewegung in Christians Richtung: »… dass Sie ihn festnehmen.« Carlis klang zum ersten Mal während ihrer Unterhaltung etwas ungnädig.
    »Wir können es uns nicht erlauben, von vornherein irgendwelche Möglichkeiten auszuschließen«, meinte Paulsen, »auch wenn es um Kollegen geht.«
    Christian sah Paulsen an. Dieser Mann hatte offenbar nicht vor, klein beizugeben.

    »Natürlich nicht«, erwiderte Maria Morale. »Aber lassen Sie uns realistisch sein. Dieses Szenario ist wenig wahrscheinlich, wie Maresciallo Carlis bereits ausgeführt hat. Also, wollen wir anfangen?«
    Carlis begann mit einem langen Monolog über Paolo Roccas Irrfahrt in den eigenen Untergang. Er unterbrach ihn nur, um irgendwelche Dokumente, teils auf Italienisch, teils in anderen Sprachen, vorzuführen. Maria Morale schwieg. Sie saß aufrecht und hielt die Hände im Schoß.
    Der Bericht führte sie in die Bergregionen des türkischen Teils Kurdistans, nach Syrien und nach Pakistan. Paolo Rocca war ständig unter falscher Flagge unterwegs gewesen, mit Pässen verschiedener Länder. Die Namen wechselten. Er war als Australier italienischer Abstammung aufgetreten, als Deutscher oder Spanier. Schritt für Schritt hatte er seine Kreise erweitert. Ein erster Kontakt zum internationalen Bund des Terrorismus war sein Ausgangspunkt gewesen, die beiden Morde in Italien seine Eintrittskarte. Er hatte politisch Gleichgesinnte kennengelernt, war in immer

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