Der Geheimnisvolle Eremit
zum gehen.
Jemand stand in der Tür, ein kleiner, ruhiger Schatten.
»Guten Abend, Bruder!« sagte Rafe von Coventry.
»Seid Ihr es?« fragte Cadfael. »Und Ihr habt mich gesucht?
Es tut mir leid, daß Ihr meinetwegen lange aufbleiben mußtet, da Ihr morgen doch zu Eurer Reise aufbrechen wollt.«
»Ich sah Euch über den Hof kommen. Ihr habt ein Angebot gemacht«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Wenn es noch gilt, dann würde ich es gern annehmen. Es ist nicht leicht, eine Wunde mit nur einer Hand ordentlich zu verbinden.«
»Dann kommt!« antwortete Cadfael. »Laßt uns zu meiner Hütte im Garten gehen, dort sind wir ungestört.«
Es dämmerte stark, aber es war noch nicht ganz dunkel. Die Herbstrosen im Garten hingen dürr auf hochgeschossenen Stielen, die Hälfte der Blätter hatten sie abgeworfen, und die verbliebenen schienen wie helle Punkte im Zwielicht zu schweben. Zwischen den hohen, schützenden Mauern des Kräutergartens hatte sich etwas Wärme gehalten. »Wartet«, sagte Cadfael, »ich will Licht machen.«
Er brauchte einige Minuten, bis er einen Funken geschlagen und zu einer kleinen Flamme angeblasen hatte, die er an den Docht seiner Lampe halten konnte. Rafe wartete schweigend und reglos, bis das Licht gleichmäßig brannte. Dann betrat er die Hütte und betrachtete interessiert die Reihen von Töpfen und Flaschen, die Waagen und Mörser und die raschelnden Kräuterbüschel an den Deckenbalken, die sich im Luftzug von der Tür leise bewegten. Er legte schweigend den Mantel ab und zog sein Hemd von der Schulter, bis er den Arm aus dem Ärmel bekam. Cadfael brachte die Lampe heran und stellte sie so auf, daß ihr Licht den befleckten und verknitterten Verband auf der Wunde gut beleuchtete. Rafe saß geduldig und aufmerksam auf der Bank an der Wand und betrachtete unentwegt das verwitterte Gesicht, das über ihn gebeugt war.
»Bruder«, sagte er schließlich, »ich glaube, ich sollte Euch meinen Namen sagen.«
»Ich kenne Euren Namen«, erwiderte Cadfael. »Rafe soll mir reichen.«
»Euch vielleicht, aber nicht mir. Wenn ich Eure großzügige Hilfe annehme, dann will ich sie Euch mit der Wahrheit vergelten. Mein Name ist Rafe de Genville…«
»Haltet jetzt still«, sagte Cadfael. »Der Verband ist verklebt, es wird wehtun.«
Er löste den verschmutzten Verband mit einem Ruck, und wenn der Mann dabei wirklich Schmerzen hatte, dann nahm de Genville sie ebenso gleichgültig hin wie den Schmerz, der mit der Entstehung der Wunde einhergegangen war. Es war ein langer Schnitt von der Schulter bis zum Oberarm, aber zum Glück nicht tief, doch das Fleisch war gespalten und die Ränder klafften auseinander. Eine einzelne Hand hätte sie nicht zusammenfügen können. »Haltet still! Wir werden es schon richten, denn sonst behaltet Ihr eine häßliche Narbe zurück. Ihr werdet aber weitere Hilfe brauchen, nachdem ich Euch verbunden habe.«
»Sobald ich Euch verlassen habe, werde ich Hilfe bekommen, und wer weiß schon, wie ich an den Schnitt kam?
Aber Ihr wißt es, Bruder. Ich wurde verletzt, sagtet Ihr. Es gibt nicht viel, was Ihr nicht wißt, aber einige Dinge kann ich Euch vielleicht doch noch sagen. Mein Name ist Rafe de Genville, und ich bin ein Vasall und bei Gott auch ein Freund von Brian FitzCount und ein Lehnsmann meiner Herrin, der Kaiserin. Und so lange ich lebe, will ich nicht zulassen, daß einem der beiden etwas angetan wird. Nun, jetzt wird er niemand mehr verletzen, weder die Leute des Königs, noch auf dem Kontinent in den Diensten von Geoffrey von Anjou – wohin er, glaube ich, gehen wollte, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war.«
Cadfael zog einen neuen Verband über den langen Schnitt.
»Legt Eure Hand auf das Leinen und haltet den Verband fest.
Die Kräuter werden die Wunde schnell verschließen. Ihr werdet nicht mehr oder nur noch sehr wenig bluten, und die Wunde sollte sauber verheilen. Aber ruht Euch unterwegs so gut wie möglich aus.«
»Das will ich tun.« Der Verband wurde sauber und ordentlich um Schulter und Arm gewickelt. »Ihr habt geschickte Hände, Bruder. Wenn ich könnte, würde ich Euch als Kriegsbeute mitnehmen.«
»Ich fürchte, in Oxford werden alle Ärzte und Heiler gebraucht, derer man nur habhaft werden kann«, stimmte Cadfael wehmütig zu.
»Ah, nicht dort und nicht jetzt. Nach Oxford kommt man nicht hinein, solange der Graf nicht mit seiner Armee kommt.
Wahrscheinlich nicht einmal dann. Nein, ich gehe zuerst nach Wallingford zu Brian, um ihm
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