Der Geheimnisvolle Eremit
der Abenddämmerung heim, wie sie schon so oft geritten waren, seit sie einander das erste Mal begegnet waren; zuerst in vorsichtigem Wettstreit, Klugheit gegen Klugheit, bis sie ein beide Seiten zufriedenstellendes Patt erreicht hatten und Freunde geworden waren. Es war eine stille, milde Nacht, und der Morgen versprach neuen Nebel. Die üppigen Wiesen und Felder im Tal waren ein schimmerndes blaues Meer. Der Wald roch nach Herbst, nach reifer, feuchter Erde, nach würzigen Pilzen und nach süßlich faulenden Blättern.
»Ich habe gegen meine Gelübde verstoßen«, sagte Cadfael, durch die Jahreszeit und die Stunde zugleich getröstet und etwas niedergedrückt. »Und ich weiß es. Ich wandte mich dem mönchischen Leben zu, aber ich glaube, ohne Eure Hilfe könnte ich es nicht durchstehen – ohne diese heimlichen Ausflüge außerhalb der Klostermauern. Denn heimlich sind sie.
Zwar werde ich oft in völlig legitimen Geschäften nach draußen geschickt, aber ich bin ein Dieb, denn ich nehme mehr, als mir von Rechts wegen zusteht. Noch schlimmer, Hugh, ich bereue es nicht einmal! Glaubt Ihr, es gibt Gnade für einen, der seine Hand an den Pflug gelegt hat, um hin und wieder doch den Acker zu verlassen und sich den Schafen und Lämmern zuzuwenden?«
»Die Schafe und Lämmer sind bestimmt dieser Meinung«, antwortete Hugh mit ernstem Lächeln. »Und Er wird ihre Gebete schon hören. Selbst die der schwarzen Schafe, für die Ihr Euch oft gegen Gott und gegen mich eingesetzt habt.«
»Es gibt nur sehr wenige, die durch und durch schwarz sind«, sagte Cadfael. »Gefleckt vielleicht, wie dieses große, ungelenke Tier, das Ihr gerade reitet. Die meisten Menschen haben ein paar Flecken am Leib. Nun, das hilft, die anderen Geschöpfe Gottes etwas nachsichtiger zu beurteilen. Trotzdem habe ich gesündigt, und was noch schlimmer ist, ich habe meine Sünden genossen. Ic h werde Buße tun, indem ich den Winter über peinlich genau allen meinen Pflichten nachkomme, bis ich wieder hinausgeschickt werde, und dann werde ich mich beeilen, meinen Auftrag zu erledigen und rasch zurückzukommen.«
»Bis Euch das nächste verlorene Schaf in die Quere kommt.
Wann soll die Buße überhaupt beginnen?«
»Sobald diese Angelegenheit hier ihren Abschluß gefunden hat.«
»Oh, Ihr und Eure Orakelsprüche!« meinte Hugh lachend.
»Und wann wird das sein?«
»Morgen«, antwortete Cadfael. »Wenn Gott es will, dann wird es morgen sein.«
14. Kapitel
Als er fast eine Stunde vor der Komplet sein Pferd über den Hof zu den Ställen führte, sah Cadfael Frau Dionisia aus den Gemächern des Abtes kommen und mit zierlichen Schritten und artig bedecktem Kopf zum Gästehaus gehen. Ihr Rücken war aufrecht wie immer, ihre Schritte fest und stolz, aber irgendwie etwas langsamer als sonst, und der verschleierte Kopf war gesenkt. Die Augen blickten vor ihr auf den Boden, statt herausfordernd in große Ferne. Über ihre Beichte würde nie ein Wort bekannt werden, aber Cadfael bezweifelte, daß sie etwas ausgelassen hatte. Dionisia war keine Frau, die sich mit Halbheiten zufriedengab. Sie würde keinen Versuch mehr machen, Richard aus der Obhut des Abtes zu entführen. Das Schicksal hatte sich mit solcher Wucht gegen Dionisia gewendet, daß sie ein solches Risiko nicht mehr eingehen würde, bis sich der Schleier der Zeit über die Erinnerung an die plötzlichen, gewaltsamen Todesfälle gesenkt hatte.
Anscheinend hatte sie die Absicht, in der Abtei zu übernachten; vielleicht, um auf ihre eigene selbstgerechte Art am nächsten Morgen mit einem Enkelsohn Frieden zu schließen, der um diese Zeit schon tief schlummernd im Bett lag, glücklicherweise immer noch unverheiratet und genau an dem Ort, an dem er sein wollte. Die Jungen würden in dieser Nacht gut schlafen, da sie von ihren Sünden losgesprochen waren und ihren verlorenen Gefährten zurückbekommen hatten. Es war ein Anlaß für ein demütiges Dankgebet. Und der tote Mann in der Friedhofskapelle, bekannt unter einem Namen, der kaum sein eigener war, konnte keinen Schatten über die Welt der Kinder werfen.
Cadfael hatte sein Pferd in den Stallhof geführt, der von zwei Fackeln am Tor beleuchtet wurde. Er nahm den Sattel herunter und rieb das Tier ab. Es war völlig still, abgesehen vom leisen Seufzen des Windes, der am Abend aufgekommen war, und einem gelegentlichen Hufscharren und leisen Bewegungen in den Ställen. Er brachte sein Tier zum Verschlag, hängte sein Sattelzeug auf und wandte sich
Weitere Kostenlose Bücher