Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Riff? Was genau meinen Sie damit?« Sie hatte ihre Arme nun durchgedrückt und fühlte, dass sie sich in dieser halbwegs aufrechten, wenn auch instabilen Position eine Weile halten konnte.
»Das Schiff liegt schon seit über vierzig Jahren auf dem Meeresgrund. Wenn vom Wrack nach all den Jahren überhaupt noch etwas übrig sein sollte, dann sind das mit Sicherheit die Korallen, die auf ihm wuchern.«
Die alte Dame wusste, dass es genau so sein musste, dennoch öffnete sie erstaunt den Mund. Gewiss, es war unsinnig, doch wann immer sie an die Yongala dachte, sah sie im Geiste ein vollkommen intaktes Schiff vor sich, das sich auf dem weichen Meeresgrund nur von den Strapazen einer schweren Reise ausruhte. Kein Bullauge war zerbrochen, keine Planke zerstört. Und irgendwo im Bauch dieses Schiffes ruhte die Schwester, zugedeckt mit den für heutige Verhältnisse sicherlich viel zu kräftig gestärkten Leinenbetttüchern der Adelaide Steamship Company. Sie hoffte jedenfalls, dass der Zyklon die Schwester erst im Schlaf überrascht hatte, so dass sie und die Kinder erst gar nicht hatten kämpfen müssen.
»Sie meinen, von der Yongala selbst ist vielleicht gar nichts mehr übrig?«
»Ich bin kein Experte, aber auszuschließen ist das nicht. Der Rost wird einiges vom Eisen weggefressen haben und das Holz größtenteils vermodert sein. Aber wer weiß schon genau, was noch geblieben ist? Das Wrack wurde ja erst vor einem Monat gefunden, und solange die Taucher der Reederei nicht unten waren, kann man nur spekulieren. Aber die sollten sich meines Erachtens ganz schön sputen.«
Was sollten ein paar Tage mehr oder weniger schon ausmachen, fragte sie sich, und als ob Craig ihren Einspruch hätte hören können, fuhr er fort: »Wenn die es nicht tun, dann kümmern sich andere darum, und glauben Sie mir, viel wird nicht mehr übrig sein, wenn diese Halunken erst damit fertig sind. Diese Räuber bergen und verkaufen alles: Nachttopf, Zahnstocher, Rasierpinsel, Schiffsglocke, Anker – einfach alles.«
Sie schüttelte unweigerlich den Kopf und fasste noch im selben Augenblick den Entschluss, diese Plünderei mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Jetzt, da man den Ort der Tragödie endlich gefunden hatte, wollte sie ihn schützen. Noch heute würde sie an die Reederei schreiben.
Mit einem Mal fühlte sie eine ungewohnte Leichtigkeit. Der Schmerz, dieser andauernde Schmerz – er war verschwunden. Sie fühlte sich gut wie schon lange nicht mehr. Wie zum Triumph ballte sie ihre Rechte zur Faust, so fest, dass sich die Knöchel weiß abzeichneten. Endlich. Das Warten hatte ein Ende. Wie hatte sie nur jemals daran zweifeln können?
»Ma’am, Sie müssen sich wieder hinsetzen und den Gurt anlegen. Zu gefährlich. Eine Windböe, und Sie purzeln mir durch die Gegend, schlagen sich vielleicht den Kopf auf, und ich wandere für den Rest meines Lebens ins Gefängnis.«
»Sie haben recht, entschuldigen Sie, bitte! Es ist nur … ich habe so viele Jahre auf diesen Moment gewartet. Dieser Flug, das Schiff, es bedeutet mir sehr viel.« Sie schloss den Gurt, ohne den Blick vom Meer zu wenden. Sie wusste nicht, ob Craig sie nicht verstanden hatte oder ob er aus Takt schwieg, jedenfalls fragte er sie nicht weiter nach ihren Verbindungen zur Yongala, und dafür war sie ihm dankbar.
»Müssen wir gleich zurück?«
Craig schüttelte den Kopf, ließ den Finger über seinem Kopf rotieren. »Wir können noch ein paar Minuten kreisen, aber nur wenn Sie brav sitzen bleiben!« Er schenkte ihr ein Lächeln. Die Maschine beschrieb einen weiten Bogen und flog dann tiefer über das Wrack. So tief, dass sie im fließenden Silber der Barrakudaschule einzelne Fische erkennen konnten, die nun blitzartig auseinanderstoben.
Die Dame nickte. Es stimmte wohl, was Craig gesagt hatte. Vielleicht gab es die Yongala wirklich nicht mehr, oder wenn, dann sicherlich nicht so wie in ihrer Vorstellung. Wenn sich die Natur das Schiff tatsächlich zurückgeholt hatte, dann hatte es sich nun in etwas Neues verwandelt, einen Ort voller Leben. Craig zog zwei weitere Schleifen, was der Dame Gelegenheit gab, die Stelle aus allen Richtungen zu betrachten.
»Wir müssen zurück, Ma’am, der Sprit.«
Sie lächelte jetzt.
»Ja, Craig. Ich habe mehr gesehen, als ich hoffen konnte. Fliegen wir zurück!«
Berlin, 28. September 2009
N atascha gab sich einen Ruck und öffnete die Wagentür. Sie konnte es unmöglich noch länger hinauszögern. Fast
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