Der Geheimtip
bald noch mehr rentieren. Pettenkamp hatte inzwischen den internationalen Markt im Visier.
In Frankreich und in Singapur weihten bereits Experten die Facharbeiter der ›Schraufa‹-Kunden in die Geheimnisse moderner Maschinentechnologien ein. Und gerade jetzt, da das ganze große Geschäft mit Portugal vor der Tür stand, wurde Pettenkamps Mann auf Madeira krank.
Egon Meier war eigentlich mittelgroß, aber wenn er den Weg bis zu Pettenkamps Schreibtisch zurückgelegt hatte, fühlte er sich immer um einige Zentimeter geschrumpft. Dabei hatte er stets ein reines Gewissen. Er kam etwa, um eine besonders hohe Spesenabrechnung eines Mitarbeiters mit dem Chef durchzusprechen oder um den Antrag eines Vorschusses zu befürworten.
»Wie geht's Alma?« fragte Pettenkamp wie jedesmal. Er wußte, daß Angestellte ein persönliches Wort schätzten.
»Danke. Gesund und munter.«
An Alma verschwendete Egon all die Liebe und Zärtlichkeit, die sonst niemand haben wollte. Seine Mutter hatte ihn liebgehabt und sehr verwöhnt. Seit sie tot war, wehte ihm ein scharfer Wind ins Gesicht. Die Frauen waren alle so schrecklich selbstbewußt. Sie lachten ihn mit großen Mündern an und schienen immer etwas von ihm zu erwarten. Er fürchtete sich vor ihnen. Die, von der er heimlich träumte, gab es nicht.
Wenn Egon abends nach Hause kam, unterhielt ihn Alma mit Saltos und bissigen Angriffsspielen. Sie hatte auf ihn gewartet in der festen Überzeugung, daß Herrchen sie nie im Stich lassen würde.
So spielte sich Egon Meiers Leben vorwiegend zwischen seinem Büro bei der ›Schraufa‹ und seiner Zweizimmerwohnung ab. Die übrige Welt fand im Fernsehen und im ›Aberlinger Volksblatt‹ statt und war im Grunde nicht viel wirklicher als ›Tatort‹ oder ›Dallas‹.
Aberlingen, nun ja, das hatte es immer schon gegeben, eine kleine Stadt am Niederrhein, dort, wo er schon ganz flach wird und sich Richtung Holland wälzt. Weite Wiesen mit Pappeln und Weiden und Birken säumten die sandigen Ufer, begrenzten die lichte Weite des Landes und straften Leute Lügen, die hier nichts als rauchende Schlote und stinkende Industrieanlagen vermuteten.
An diesen Ufern des Niederrheins war Egon Meier aufgewachsen. In dem Weidengebüsch hatte er als Junge Django oder Detektiv gespielt, war mit anderen Jungens den kleinen losgerissenen Grasinseln im Rhein nachgejagt, wenn sie sich träge in der breiten Flut dem Meer zuschoben. Manchmal hatte er am Ufer gesessen, den Dampfern und Schleppern zugeschaut und geträumt von der Romantik ferner Länder, deren Namen im Schulatlas seine Fantasie beflügelten. Brasilien … Mexiko … Neuseeland …
Aber Meier war kein Traumtänzer. Als er die kaufmännische Lehre begann, hatte er sein Ziel fest vor Augen: Er würde es zu etwas bringen. So war er auch der einzige Lehrling, der sich vom alten Buchhalter Bimm schurigeln ließ. Die anderen grinsten, wenn Bimm hochrot brüllte: »Der Sitz der Briefmarke ist eine Visitenkarte der Firma!« und spotteten hinterher über den ›Heiligen Bimmbamm‹. Nur Egon bemühte sich mit herausgestreckter Zungenspitze, die Briefmarken pingelig gerade zu kleben.
So begann sein Aufstieg zum Oberbuchhalter der ›Schraufa‹.
»Worüber ich mit Ihnen reden möchte«, sagte Ewald Pettenkamp, als Egon Meier in Zwergengröße vor ihm stand, »nun, es geht um eine äußerst wichtige Angelegenheit für unseren Betrieb, für das gesamte Unternehmen.«
Er fixierte Egon, dem es kalt den Rücken hinunterlief. Sein Nacken wurde ganz steif. Es war stets dasselbe. Er schaffte es einfach nicht, locker und selbstbewußt aufzutreten, weil er jedesmal das Gefühl hatte, der Alte wolle ihn hypnotisieren.
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte Pettenkamp, und Egon ließ sich vorsichtig auf das unbequeme Möbel nieder.
Pettenkamp legte die kalte, stinkende Zigarre auf einen Aschenbecher und schob die dicke Unterlippe vor wie eine gut gewickelte Roulade.
»Die Lage ist folgende«, sagte Ewald Pettenkamp, »unser Herr Balk, der bekanntlich die ›Schraufa‹ in Portugal vertritt, stand mit dem Regionalsekretär für Handel und Finanzen auf Madeira kurz vor dem Abschluß von Verhandlungen. Es geht dabei um einen Großauftrag für unsere Alarmanlage in Buchform, und zwar in verschiedenen Ausführungen. Sie wissen, wir haben das Patent. Unser Geschäftspartner wäre Señor del Parlango y Gosset, aber die Regierung muß natürlich zustimmen, bei einem Geschäft dieser Größenordnung. Madeira hat ja
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