Der Geheimtip
Ein Mann, den der Chef für eine so wichtige Aktion ausgewählt hatte.
Diesmal würde Egon Meier seine Chance wahrnehmen. Beförderung und Anerkennung lagen greifbar vor ihm. Schon jetzt war an Fräulein Buttrichs Benehmen ihm gegenüber deutlich eine vorteilhafte Änderung zu bemerken. Hatte sie ihn sonst nie anders als ›Meierchen‹ genannt, so redete sie ihn heute mit ›Herr Meier‹ an.
In der Handelsschule war er der Beste gewesen. Nie hatte er sich wie die anderen ein Mädchen geschnappt, nie eine Disco besucht, immer gebüffelt und gestrebt. Die Azubis heutzutage ließen sich ja die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Er hatte von Bimm sogar eine Ohrfeige eingesteckt. Wegen einer windschief geklebten Briefmarke!
Silvia Buttrich wippte zum Regal und schleppte einen Atlas herbei. Sie schlug die Karte von Madeira auf. Ein Klecks im Atlantik.
»Da ist es. Ich beneide Sie, Herr Meier«, flötete sie und stellte sich dicht neben Egon.
Es summte, und Pettenkamps Stimme kam über die Sprechanlage: »Egon Meier reist für uns nach Madeira. Bitten Sie Herrn Dr. Kranzer, daß er ihn in die technische Materie einweiht. Machen Sie bitte Flug, Spesen und das ganze Pipapo zurecht. Er sollte morgen nachmittag ankommen. Schicken Sie ein entsprechendes Telegramm an Señor Parlango. Danke.«
Egon Meier erbebte. Die Buttrich erhielt allen Ernstes Anweisungen seinetwegen. Jetzt lächelte sie ihn wieder so eigenartig an, als ob er ihr gefiele. Ihr rotes Haar saß wie eine Bademütze.
Er war nicht etwa häßlich, das hätte ihn gewiß nicht gestört, ließen doch Typen wie Belmondo und Eddie Murphy und sogar die spukhäßlichen Popknaben mit den Stehfrisuren aus Stoppeln und Gel die Mädchen vor Begeisterung rasen. Nein, häßlich war Egon nicht. Leider war er auch nicht schön. Nichts vom jungen Jean Marais, keine Spur von ›Magnum‹. Nee, er sah einfach aus wie der Junge von nebenan. Weder dick noch dünn, zwischen groß und klein, mit dunkelblondem Haar über einem netten Gesicht. Mittelblaue Augen, mittellange Nase, mittelgroßer Mund. Und ein großes, erwartungsvolles Gemüt, um das sich kein Mensch kümmerte.
Vielleicht würde sich das bald ändern?!
Madeira, dachte er, als er den langen Gang mit dem Terrazzoboden und den weißen Fugen entlangging. Immer nur: Madeira. Meier fährt nach Madeira. In einer für die Firma äußerst wichtigen Angelegenheit!
In seinem Büro setzte er sich wortlos an seinen Schreibtisch und starrte vor sich hin.
Rüdiger Knulle betrachtete ihn forschend. Dann räusperte er sich extra laut – als starker Raucher war mittleres Räuspern für ihn normal und wäre Egon gar nicht aufgefallen.
»Dicke Luft beim Alten?« fragte Knulle leise.
»Im Gegenteil. Ich soll den Auftrag von Herrn Balk auf Madeira übernehmen. Herr Balk ist erkrankt.«
»Mensch, Egon! Ich bin beinahe sprachlos. Du Glücklicher«, sagte Knulle säuerlich. »Darauf müssen wir einen trinken. Meier, da kommste nicht drum rum. Du mußt was springen lassen.«
Egon nickte gedankenverloren.
Sofort begab sich Knulle in die Expedition, um einen Mitarbeiter – keinen Azubi, die lehnten solche Aufträge oft ab – zu bitten, auf Kosten von Herrn Meier etwas Alkoholisches zu besorgen, während der noch immer dasaß und vor sich hinstarrte. Nach dem ersten Schock der Überraschung setzte jetzt die Aufregung erst richtig ein. Der Sprung vom anonymen Rädchen der ›Schraufa‹ zum Mann auf Madeira war erheblich. Da mußte man erst mal verschnaufen und wieder zu sich kommen. Jede Situation verlangt ihren Meister, und bisher hatte Egon sich noch nie so recht als Meister gefühlt.
In dieses Stadium innerer Einkehr platzten Knulle, der im Arm drei Flaschen Cognac trug, deren Sterne im Neonlicht blinkten, sowie Herren und Damen aus anderen Büros.
»Egon Meier, jetzt wird einer geschnasselt!« rief Knulle. Das hörten die anderen gerne. »Kinder!« wandte sich Knulle an seine Zuhörer, die erwartungsvoll zusammenrückten in der Stimmung, ›Hoch‹ zu rufen, »Herr Meier wird die rechte Hand vom Chef. Reise nach Madeira. Beförderung liegt in der Luft. Deshalb trinken wir hier auch auf seine Kosten auf sein Wohl. Und ich schließe meine Rede mit dem Wörtchen ›möge‹, daß nämlich Meiers Mission klappen möge!«
Meier erlebte zum erstenmal den stillen Triumph, beachtet und gefeiert zu werden. Ja, er war jetzt der Mittelpunkt!
Jovial ergriff er sein Wasserglas mit Cognac und nippte leicht daran.
»Vielen Dank«, sagte er
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