Der gehetzte Amerikaner
Vater gekannt; Harry
Dunning!« versuchte sie zu erklären. »Ich glaube, Sie
haben zusammen am ZembreDamm in Brasilien gearbeitet.«
Bradys Augen weiteten sich, und er beugte sich überraschend vor.
»Dann sind Sie also die Tochter von Harry
Dunning…? Ja, wie geht es ihm denn? Ich habe schon ewig nichts
mehr von ihm gehört – seit wir uns in New York trennten,
nachdem wir die Arbeit am Zembre hinter uns hatten. Wollte er nicht
nach Guatemala gehen?«
Sie nickte und drehte nervös ihr Portemonnaie in den Händen.
»Er ist tot, Mr. Brady. Er hatte in Kuba einen Unfall und starb sechs Wochen später…«
Brady war ernstlich erschüttert.
»Es tut mir sehr leid«, stammelte er
verstört. »Ich war mit Ihrem Vater sehr gut
befreundet.«
»Ja, das hat er auch gesagt«,
stimmte sie zu. »Ich bin sofort zu ihm geflogen, sowie ich die
Nachricht von seinem Unfall erhielt. Bis zu seinem Tode war ich bei
ihm. Er hatte auch von Ihrem Fall gehört und erklärte mir,
daß Sie niemals eine solche Tat begehen würden. Er war fest
davon überzeugt, daß Sie beim Prozeß die Wahrheit
sagten; und er erzählte mir auch, daß Sie ihm einmal das
Leben gerettet hatten.«
»Es ist schön zu hören, daß wenigstens ein Mensch mir geglaubt hat«, meinte Brady.
Sie öffnete ihre Geldbörse und zog an einer
Kette eine altmodische silberne Uhr heraus. Sie hielt sie dicht an das
Drahtgitter, so daß er sie genau betrachten konnte.
»Es war sein Wille, daß Sie diese Uhr
annehmen sollten. Er bat mich darum, daß ich sie Ihnen
persönlich übergebe. Ich denke, ich könnte sie
einstweilen dem Anstaltsdirektor überreichen, damit sie mit Ihren
anderen Effekten aufbewahrt wird.«
Er schüttelte freundlich den Kopf. »Ich
kann sie hier doch nicht gebrauchen; es wäre schade um sie.
Bewahren Sie mir die Uhr auf!«
»Möchten Sie das wirklich?«
Er nickte. »Es könnte sein, daß ich
früher hier herauskomme, als Sie glauben, und dann können Sie
mir persönlich die Uhr übergeben.«
Sie ließ das Erinnerungsstück wieder in die Tasche gleiten und beugte sich vor.
»Aber soviel ich weiß, ist Ihr Revisionsantrag doch verworfen worden?«
»Oh, ich habe noch ein paar Eisen im
Feuer«, erklärte er lächelnd, ohne jedoch genauer zu
sagen, was er meinte. »Erzählen Sie mir noch etwas über
sich selber. Woher wußten Sie, daß Sie mich hier finden
würden?«
»Als man Sie hierher verlegte,
stand eine kleine Notiz darüber in der Zeitung«, entgegnete
sie. »Und ich trete in einer Show auf, die diese Woche im
›Hippodrom‹ von Manningham spielt. Das schien mir eine
gute Gelegenheit zu sein. Heute morgen bat ich telefonisch den Direktor
um Besuchserlaubnis und erhielt sie auch.«
»Wie geht denn bei Ihnen das Geschäft?« fragte er.
Sie schnitt eine kleine Grimasse. »Schlecht. Wir
sollten zwölf Wochen lang durch die Provinz tingeln, aber ich
glaube, am Samstagabend machen wir jetzt Schluß!« Dann
seufzte sie. »Ich hatte wirklich geglaubt, daß ich diesmal
zusammenbrechen würde. Ich habe sehr oft die zweite Rolle und drei
Solopartien in unserem Programm übernommen; aber so ist es nun
einmal im Showgeschäft.«
»Ich würde wer weiß was darum geben,
wenn ich heute abend bei Ihrem Auftritt schön bequem in der Mitte
der ersten Reihe sitzen könnte«, schwärmte Brady.
Sie schaute ihn aus den Augenwinkeln schelmisch an und lächelte.
»Ich würde auch einiges darum geben, wenn
Sie dort sitzen könnten, Mr. Brady. Mein Vater hatte, glaube ich,
recht mit seiner Meinung über Sie! Was meinen Sie, ob man mich
noch einmal vorläßt zu Ihnen, bevor ich Manningham wieder
verlasse?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein; aber Sie könnten mir ja einmal schreiben.«
»Das möchte ich schon gern tun«,
sagte sie. »Ich werde Ihnen auch meine Londoner Adresse
geben.«
Der wachhabende Beamte tippte ihm auf die
Schulter, und Brady erhob sich. Einen Augenblick noch stand das
Mädchen drüben auf der anderen Seite und schaute ihn durch
das Drahtgitter hindurch an, und es sah dabei so aus, als ob es etwas
sagen wollte, aber nicht die richtigen Worte fand. Schließlich
drehte sie sich abrupt um und ging hinaus, während er dem
Wachhabenden hinunter in den Speisesaal folgte. Den ganzen Weg
über mußte er dabei an das Mädchen denken.
Als sie an dem Nachmittag wieder an der Arbeit waren
und eine kleine Zigarettenpause einlegten, fragte Evans ihn nach
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