Der gehetzte Amerikaner
Zucken.
»Ich hätte gern Mr. Das gesprochen, wenn das möglich ist«, fuhr Brady fort.
»Der Swami ist jedesmal nach der Andacht sehr
abgespannt«, erklärte sie. »Er empfängt am
Sonntag keine Patienten!«
»Es ist aber sehr dringend«, versicherte
Brady. Sie zögerte noch immer, da holte er hastig zwei
Zehnshillingnoten hervor und steckte sie in den Klingelbeutel.
»Die Andacht war für mich eine Inspiration.«
»Ja, nicht wahr?« fragte sie simpel.
»Ich werde sehen, ob der Swami etwas Zeit für Sie
erübrigen kann. Warten Sie bitte hier.«
Sie schloß die Bürotür halb hinter
sich, aber Brady konnte hören, wie sie das Telefon aufnahm. Dann
folgte eine gemurmelte Unterhaltung, und schließlich kam sie
zurück.
»Der Swami ist sehr müde, wie ich Ihnen
gesagt habe, aber er will doch fünf Minuten für Sie
erübrigen. Kommen Sie bitte hier entlang.«
Ein langer überdachter Gang verband den Tempel
mit dem Haus, in dem früher der Sektenpfarrer gewohnt hatte.
Als die Frau am jenseitigen Ende die
Haustür öffnete, wurde Brady sofort wieder vom Weihrauchduft
umnebelt. Sie durchquerten eine Eingangshalle, deren Wände mit
kostbaren Teppichen behangen waren; dann klopfte die Frau leise an eine
Tür und trat ein.
Brady folgte ihr, nahm den Hut ab und blieb innen
neben der Tür stehen. Auch die Wände dieses Raumes waren von
handgewebten chinesischen Drachenteppichen verhüllt; auf dem
Fußboden lag ein wundervoller schwarzer Teppich. Diese Pracht war
kaum noch zu überbieten.
An der einen Seite des Zimmers befand sich ein
Alkoven, in dem auf einem Altar eine kleine Buddhafigur stand. In einem
Kessel davor brannte Weihrauch, und mit gebeugtem Haupt kniete Das dort
auf dem Fußboden.
»Warten Sie hier, bis er Zeit für Sie
hat«, flüsterte die Frau und huschte hinaus. Behutsam
schloß sie die Tür hinter sich.
In der Mitte des Zimmers stand ein schöner,
handgeschnitzter Tisch mit einer polierten Ebenholzplatte. An den
Wänden entlang war auf speziell angefertigten Regalen eine
Sammlung wundervollen chinesischen Porzellans aufgebaut.
Brady trat ein paar Schritte vor und betrachtete
interessiert eine köstliche Porzellanvase. Hinter ihm war eine
kleine Bewegung zu hören, und Mr. Das sagte: »Wie ich sehe,
bewundern Sie meine kleine Sammlung… Sind Sie vielleicht
zufällig ein Künstler?«
Brady schüttelte den Kopf. »Leider
völlig daneben geraten. Ich bin Ingenieur; aber ich bewundere
alles, was schön und vollendet konstruiert ist.«
»Auch eine Brücke kann ein Kunstwerk
sein«, stimmte Das zu. »Aber wenn es Sie interessiert: Die
Vase, die Sie betrachteten, stammt aus der Ming-Dynastie und ist
über tausend Pfund wert. Sie ist der Schatz meiner
Sammlung!«
Liebevoll strich er mit zarter Hand
über die Vase; dann trat er zum Tisch und setzte sich. Er wies
dabei auf einen Sessel ihm gegenüber.
»Mahroon berichtete mir, daß Sie etwas auf dem Herzen haben, mein Freund. Sie suchen einen Rat?«
»So könnte man es nennen«, bekannte
Brady, holte eine Zigarette hervor und steckte sie an. Dann setzte er
sich in den Sessel und legte seinen Hut auf den Fußboden.
»Mein Name ist Matthew Brady. Sagt Ihnen das etwas?«
Das sah etwas überrascht aus.
»Warum sollte es?«
»Oh, ich dachte nur«, erwiderte Brady.
»Ich kam darauf, weil Sie doch einen anständigen Preis
dafür ausgesetzt haben, daß ich noch diese Woche
sterbe!«
In den ausdrucksvollen Augen des Hindu zeigte sich tiefe Bekümmernis.
»Ich fürchte, ich habe nicht die geringste
Ahnung, wovon Sie sprechen, Mr. Brady. Wir hier in unserer Gemeinschaft
sind nur damit beschäftigt, uns selbst beherrschen zu lernen.
Wir wünschen die Wahrheit zu entdecken, die
jedermann nur in seiner eigenen Seele finden kann. Die Vernichtung
eines menschlichen Wesens wäre für uns eine
Todsünde…«
»Diese Art Predigt können Sie sich für Ihre zahlende Kundschaft aufheben«, entgegnete Brady.
Das seufzte wieder und drückte einen Knopf auf seinem Tisch.
»Ich fürchte, ich muß Mahroon bitten, Sie hinauszuführen.«
»Ich hätte eigentlich gedacht, daß
Sie eine nettere Tempeljungfrau besäßen«, höhnte
Brady. »Sie sieht gar nicht so aus wie eine.«
»Sie wissen doch hoffentlich, daß Sie sehr
beleidigend sind, Mr. Brady«, antwortete Das scharf. »Ich
schätze, ich muß mit Ihnen anders verfahren – ein
bißchen unangenehmer!«
Hinter Brady
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