Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Büro.«
»Also ist die Antwort auf meine Frage: Nein! … Dachte ich mir schon. Hören Sie zu, Grenko, Sie kommen jetzt auf dem schnellsten Weg her. Ich bringe mal in Erfahrung, was genau die Polizei von Ihnen will. Außerdem kenne ich da jemanden in Almaty, der herausfinden kann, wo Ihr Onkel steckt. Ich melde mich wieder.« Dann legte er auf.
Sascha sah verblüfft auf das Display. Dann atmete er tief durch. Dieses »Ich kenne da jemanden« war Regers größtes Kapital. Vor wenigen Wochen hatten sie den Auftrag gehabt, den Mitarbeiter einer großen Versicherung ausfindig zu machen, der sich mit vier Millionen Euro abgesetzt hatte. Sascha hatte ihn über die Wege, die das Geld genommen hatte, in Buenos Aires aufgespürt, Argentinien aber hätte ihn nicht ausgeliefert. Am Telefon hatte Reger seinem Auftraggeber gesagt: »Der kommt. Ich kenne da jemanden vor Ort.« Eine Woche später war der Mann am Flughafen Frankfurt verhaftet worden.
Reger an seiner Seite zu haben hatte etwas ungemein Beruhigendes.
Sascha musste den Wagen loswerden, nach dem bestimmt inzwischen gefahndet wurde. Er fuhr nach Ingolstadt, stellte den Leihwagen auf dem Parkdeck eines Kaufhauses ab und ging zu Fuß zum Bahnhof. Das Ticket nach Köln bezahlte er bar, und eine Dreiviertelstunde später bestieg er den ICE. Der Zug war relativ leer, er hatte eine Nische mit Tisch ganz für sich alleine.
Zunächst suchte er im Internet nach der Stradivari, fand jedoch nur die Hinweise, die Vika bereits ausfindig gemacht hatte. Er entdeckte eine Seite von Sotheby, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, um welchen Wert es ging. Sammler, Liebhaber und auch Banken und Versicherungen nutzten Stradivaris als Geldanlage. Der Wert der Instrumente bewegte sich zwischen einer und fünfzehn Millionen Dollar. Er war noch damit beschäftigt, diese Information zu verdauen, als Reger wieder anrief.
»Wo sind Sie?«
»Im ICE nach Köln.«
»Gut. Die Polizei hat nicht viel«, kam er sofort zur Sache. »Die wissen inzwischen, dass Sie Vikas Bruder sind, und sie wissen auch, dass ein anderer Mann geschossen hat. Eine Hotelangestellte hat allerdings ausgesagt, Sie wären zusammen mit dem Mann geflohen.«
Sascha stöhnte auf. »Ich habe ihn verfolgt. Das muss auf den Bändern der Tiefgarage doch zu sehen sein.«
»Funkkameras«, grollte Reger. »Sie waren über eine Stunde gestört. Ich gehe davon aus, dass der Mann einen Störsender im Auto hatte. Alle Kameras liefen wieder, nachdem der Wagen die Barriere durchbrochen und das Parkhaus verlassen hatte. Und das ist das eigentliche Problem. Sie sind auf den Bildern danach nicht zu sehen, und im Augenblick geht die Polizei davon aus, dass Sie mit in dem Fahrzeug gesessen haben.«
»Ich bin direkt …«
Reger unterbrach ihn.
»Das lässt sich sicher alles klären, aber es gibt da noch was. Eine Tote in der Pension, in der Ihre Schwester gewohnt hat.«
Sascha zuckte zusammen. Er hatte gehofft, dass wenigstens in dieser Sache keine Spur zu ihm führen würde.
Reger sprach weiter.
»Sie ist mit der gleichen Waffe erschossen worden, und da gibt es keinen Hinweis auf einen zweiten Mann, aber eine Zeugenaussage, dass ein Mietwagen über zwei Stunden vor der Tür stand.«
Sascha stöhnte und sah zum Fenster hinaus. Wiesen, übersät mit Löwenzahn, dahinter bewaldete Hügel rasten an ihm vorbei. Die Geschwindigkeit ließ die Farben zu einem gelbgrünen Band verschmelzen, webte das dunkle Rot eines Backsteinhauses für den Bruchteil von Sekunden ein.
Etwas fügte sich in seinem Kopf zusammen. Der Mörder war in der Pension gewesen, kurz nachdem er selbst sie mit Vikas Zimmerschlüssel und dem Umschlag verlassen hatte. Die Frau in der Pension musste vor Vika gestorben sein, nicht danach, wovon er bislang unwillkürlich ausgegangen war. Anders hätte der Mörder kaum die Gelegenheit gehabt, Vikas Zimmer zu durchsuchen. Plötzlich stellte sich der ganze Ablauf anders dar. Jetzt kam Zeit ins Spiel. Zeit, die Rezeptionistin zu befragen. Was, wenn sie von ihm, von Vikas Bruder, gesprochen hatte?
»Ich habe einen Denkfehler gemacht«, sagte er zu Reger, berichtete von der Pension und seinen Überlegungen.
»Sie haben ein Händchen für die wirklich große Scheiße, mein Junge«, sagte Reger langsam, und es klang fast väterlich. »Was ist Ihr letzter Halt vor Köln?«
»Bonn.«
»Dann steigen Sie da aus.«
Kapitel 11
I n einem Kastenwagen waren sie zum Güterbahnhof gebracht worden. Man trieb sie in einen Viehwaggon.
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