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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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klären an Ungereimtheiten, die ihm in dieser Welt allenthalben begegneten. In fünfhundert Jahren gehen die Menschen voran, da besteht kein Zweifel. Aber das Neue, eingebettet im Alten, behütet von Überkommenem, läßt sich begreifen. Es kommt darauf an, wieviel Zeit man hat, es zu lernen, wie lange man sich damit befassen kann. Lernen, das ist mein Fach, dachte Nasreddin. Und – bei diesem Gedanken hob sich seine Niedergeschlagenheit wie ein Vorhang, der das Licht gedämpft hatte. Nach allem, was ich bisher gesehen habe, es scheint sich zu lohnen, diese neue Welt zu begreifen, sie zu erlernen, um in ihr zu leben! Darauf kann man sich sogar freuen, weiß Gott!
    Aber dachte Nasreddin an diese unfaßbaren fünfhundert Jahre selbst, war ihm schier, als wollte ihm noch immer das Herz stillstehen. Hier mußte Allah – oder der Scheitan? – persönlich die Hand im Spiel haben. Niemals hatte es ähnlich Un erhörtes gegeben. Selbst die Visionen Mohammeds, des Propheten, die ihn erst zum Propheten machten, schienen dagegen blaß! Was für lächerliche Gedanken! Aber ist es nicht Zauberei? Habe ich nicht stets meinen Schülern eingebleut, daß Zauberei und Aberglaube in die Märchenstunde der kleinen Kinder und alten Weiber gehören?
     Aber trotz dieser Ungeheuerlichkeit löste sich langsam der dumpfe Druck von Nasreddin. Und obwohl ihm eine Lösung dieses Rätsels nicht wahrscheinlich schien, fühlte er alten Elan wiederkehren. Zunehmend ging ihm das Pflücken lockerer von der Hand. Was schon, wenn das Mystische dieses Zeitsprungs blieb; anderes, vorher nicht weniger Unbegreifliches, war geschwunden. Nicht im Vorhof von Allahs Reich, nicht vielleicht gar schon in himmlischen Gefilden, auch nicht beim Scheitan in der Hölle befand er sich, sondern auf der lieben Erde, nahe der Heimat. Oh, und das kann glücklich machen! Furcht vor den Häschern irgendeines Chans? Kein Chan, keine Häscher, keine Furcht! Oh, die Miliz – nun ja! Bin ich mit dieser in Konflikt geraten, wird man es meiner Unwissenheit zuschreiben können. Im Grunde waren sie bislang alle freundlich zu mir, die neuen Menschen! Sie öffnen sich dem anderen… Ist dies auch etwas Neues?
    Durch Nasreddins Erinnerung gingen die Bilder, die er in den wenigen Tagen seines Wandels durch diese neue Welt in sich aufgenommen und gut gespeichert hatte. Das ist Leben! Und wenn ich auch nicht sehr tief eingedrungen bin, ist es nicht auch schönes Leben? Habe ich nicht gerade deshalb angenommen, nahe bei Allahs Reich zu sein, weil sie leben, als seien sie im Paradies? Kleiden sie sich nicht wie die Prinzessinnen, kann nicht jedermann blitzendes Geschirr, wollene Teppiche und selbstfahrende Karren sein eigen nennen? Sind die Basare nicht reich an Früchten und Fleisch, die Häuser prächtig und aus Stein mit festen, durchsichtigen Häuten an den Fenstern? Und war mir nicht selbst stets ein Dorn im Auge, daß Kinder der Armen nicht lernen konnten? Haben sie mich nicht gewarnt, der Bei und der Kalif, die Hochgestellten nicht durch solche aus dem Bauernstand zu belästigen, so daß ich nur immer zwei oder höchstens drei aufnehmen konnte, und wenn sie zehnmal begabter waren? Und die Mädchen… Nur für das Gebären und die Arbeit erzogen, wenn sie Glück hatten, für den Harem eines Beamten. Wenn ich dagegen jene dort sehe, die Hundertzöpfige…

    Als es darum ging, Nasreddin auf dem Gelände des Kolchos ein Saisonquartier einzurichten, entschied der Vorsitzende in einem für ihn seltenen Anflug von schwarzem Humor, daß der neue zum vorhandenen Nasreddin ziehen solle. Wenn man noch eine Liege aufstellte, es würde zwar eng werden, ginge es, und zwei von der Sorte vertrügen sich wohl auf kleinstem Raum.
    Im Kolchos »Neue Ernte«, der seinen Namen einer erst vor kurzem eingeführten Züchtung einer bis dahin nicht angebauten Sorte Baumwolle verdankte, deren erste Ernte vor zwei Jahren das Ergebnis über alle Erwartungen hinaus in die Höhe getrieben hatte, gab es einen jungen Mann, einen Georgier von Geburt, der seiner Einfälle und Streiche wegen den Spitznamen Nasreddin führte, ein Umstand, der ihm nicht unlieb schien. Und dessen Anwesenheit hatte die Entscheidung des Vorsitzenden inspiriert.
     Bevor Nasreddin seinen Esel versorgt, sich umgesehen, mit diesem und jenem einen Schwatz gemacht hatte, war die Nachricht auf dem geräumigen, feierabendlichen Hof herum: Leute, es gibt einen echten Nasreddin, einen mit einem Esel, gekleidet wie im Bilderbuch und mit

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