Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
Vom Netzwerk:
mit an den Wurzeln des Lebens, wenn du weißt, was ich meine. Und wenn auch dort das Sein schöner ist, als wir hinter dem Schleier unserer Unwissenheit begreifen können, ein wenig davon bereits hier wird Allah uns gewähren, wenn wir es suchen – mit nicht wenig Mühe – und endlich finden.«
     »Das haben Sie schön gesagt. Aber wenn Sie so denken, warum dann«, sie zögerte, sah ihn von oben bis unten an, »in Allahs Namen? Sie sind doch keiner von den Alten, die es nicht anders kennen. Sie sind doch bei uns aufgewachsen. Sehen Sie nicht«, sie richtete sich auf, reckte sich, breitete die Arme und drehte sich im Halbkreis, »das alles geschieht ohne Allah.«
    Nasreddin ließ sich im Pflücken nicht beirren, er blickte lediglich seitlich zu ihr hoch. Eine Ungläubige, na, was schon! »Er ist allgegenwärtig, Tochter, auch wenn du es nicht wahrhaben willst!« In diesem Augenblick, als er das sagte, war es ihm, als verspürte er ein Jucken am Hals. Und er fragte sich, erschrak fast vor der Kühnheit seiner Gedanken, ist es so? Bin ich nicht ein gläubiger Sohn, lehre die Suren, mehre so die wissend Glaubenden, und dennoch hat er mich dem Henker überlassen, nur weil ich – liebte. Nur? Ist es nicht das Höchste, kommt sie, diese Liebe, nicht gleich nach der zu ihm? Und andererseits, sie, diese Ungläubige, ist sie unglücklich, weil niemand sie die Suren gelehrt hat, weil sie nicht im Gebet den mühseligen Alltag abstreift, nicht im wunderbaren Glauben an das, was kommt, Übermenschliches erträgt? Wenn ich nur wüßte, was mir geschah, wo ich hingeraten bin.
     Und plötzlich reifte in Nasreddin ein Entschluß: Jene, die mich da in dieser roten Maschine verfolgt, muß doch wohl wissen, warum sie das tut. Wenn ich das weiß, weiß ich vielleicht mehr. Ich werde sie fragen, beim Bart des Propheten, das werde ich! Sogleich fühlte Nasreddin sich wohler – wie stets, wenn er ein Ziel sah.
     »Sag, Töchterchen, als mich der Gebieter zu sich rief, erinnere ich mich, war dieses Usbekistan ein durch und durch gläubiges Land. Wie konnte der weise Timur es zulassen, daß in so kurzer Zeit die Sitten verfielen, die Giaurs wie Pilze aus der Erde schossen, er, der mächtige Statthalter Allahs.«
     Sie sah ihn an, mitleidig beinahe, unschlüssig, zweifelnd auch. Dann lächelte sie und sagte: »Du willst mich verulken, was? Nicht jeder weiß, wie lange, das gebe ich zu, aber daß Timur seit Jahrhunderten tot ist, weiß jedes Kind, Onkelchen. Also, was redest du!« Gleichzeitig fragte sie sich, ob dieser stattliche, gutaussehende Mann vielleicht doch nicht bei klarem Verstand sei, daß ein harmloser Wahnsinn ihn tatsächlich in jener Zeit, von der er sprach, gefangenhielt? So etwas soll es geben. Aber es würde ein intensives Studium der Geschichte voraussetzen. Oder ist er vielleicht gerade darüber von Sinnen geraten? Über die Wirkung ihrer Worte aber erschrak sie.
    Nasreddin hatte sich hoch aufgerichtet, seine Stirn runzelte sich über der Nasenwurzel, jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Als er nach ihren Schultern faßte, fühlte sie unter dem dünnen Gewand, wie seine Hände zitterten. Ein Anfall? Ihr wurde bänglich zumute.
     Aber gewalttätig wurde er nicht, er schüttelte sie nicht, noch krallten sich seine Finger ein. Er zog sie ein Stück zu sich heran, sah ihr wie forschend in die Augen und hauchte die Frage fast: »Was sagst du da, Töchterchen? Bist du von Sinnen?« Immer noch durchstreifte sein Blick ihr Gesicht. Ihr war, als spüre sie eine Berührung.
     Dann ließ er sie plötzlich los, daß sie ein wenig taumelte. »Nein, von Sinnen bist du nicht. Aber du machst einen Spaß mit mir, ja? Einen Spaß…« Er lachte eine Sekunde gezwungen auf. »Aber mit so etwas spaßt man nicht. Allah soll deine Felder verdorren, wenn du es tust. Ich…«
     »Aber Nasreddin!« Sie faßte ihn sacht am Oberarm, schüttelte ein ganz klein wenig den kräftigen Körper. »Was ist mit Ihnen? Ich habe doch nichts Unrechtes gesagt, mache mich ganz und gar nicht lustig über Sie. Warum sollte ich? Schließlich weiß man, was sich gehört. Aber jedermann hier wird Ihnen bestätigen, was ich sagte: Timurlenk ist tot, seit fünfhundert Jahren. Von seinen Greueltaten lehrt man in der Schule, sein Mausoleum in Samarkand ist eine Touristenattraktion, seine Nachkommen sind Bauern, Arbeiter, Gelehrte. Usbekistan ist ein Teil der Sowjetunion. Aber was sage ich. Jedes Kind weiß das. Und geben Sie zu, Sie verulken mich. Aber Sie

Weitere Kostenlose Bücher