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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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und – ist das nicht gar im Iran?«
     »Doch, doch«, antwortete Nasreddin zögernd. »Baumwolle schon, aber ein Chodscha braucht sie nicht zu pflücken. Und es ist bedeutend weniger.« Auf den zweiten Teil der Frage, der ihm unverständlich war, ging er nicht ein.
     »Und – sicher gibt es noch ein zweites Aksehir, bei uns, ein kleines Dorf…«, sagte der Direktor, aber es klang nicht mehr wie eine Frage, eher wie eine Feststellung.
    »Aber Iwan Michailowitsch, Sie als gebildeter Mann müßten doch wissen, daß der Chodscha Nasreddin aus Aksehir stammt, und zwar aus jenem im Iran. Und jedermann weiß auch«, und die Hundertzöpfige warf einen vielsagenden Blick auf Nasreddin, »daß sich dort auf dem Friedhof sein Grab befindet, das ulkigste, das es je gegeben hat, mit einem sinnlosen Tor mitten in der Landschaft und einem riesigen Turban in der Mitte, der alle Leute zum Lachen bringt. Eine Touristenattraktion.«
     Nasreddin lachte hellauf. »Unsinn«, sagte er. »Das ist nicht auf dem Friedhof in Aksehir, sondern bei Samarkand. Und das habe ich selbst errichtet. Timur hat es viel Vergnügen bereitet, kann ich euch sagen. Hundert Akscha hat er mir geschenkt für den Ulk.«
     »Soso«, sagte das Mädchen. »Wenn Sie es sich nicht anders überlegen und morgen wiederkommen, bringe ich eine Abbildung mit.«
     »Sewara, seien Sie zurückhaltender«, mahnte der Direktor streng. Und zu Nasreddin gewandt, sagte er wie entschuldigend: »Sewara hatte in der Schule schon immer ein loses Mundwerk. Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen.« Aber er schmunzelte bei diesen Worten.
    Alsbald hatte Nasreddin zerschundene Hände, und wenn der Direktor und von der anderen Seite das Mädchen mit den hundert Zöpfen nicht ab und an in seine Reihe gelangt hätten, er wäre hoffnungslos zurückgefallen. Obwohl er sich anfangs ein wenig genierte, machte er doch die Erfahrung, daß es auch sein Gutes hatte: Während die anderen oftmals zum Weg und zum Wagen nach vorn mußten, füllte sich sein Sack wesentlich langsamer. Und in der Zeit, in der sie leerten, holte er auf. Bis, ja, bis er feststellte, und wie anders sollte es sein, daß jeder Sack eine blecherne Marke bedeutete, die jeder, der leerte, bekam, entweder eine silbrige oder eine kupferne. Die silbrige bedeutete beste Qualität. Man konnte die Marken in Scheinchen verwandeln.
     Einmal, als der Direktor zum Wagen ging und galanterweise Sewaras vollen Sack mitschleppte, pflückte diese mit bei Nasreddin. Und sie sah ihn von unten her an und sagte verschmitzt: »Du bist ein ganz schön ulkiger Vogel, Nasreddin.« Als er sie verständnislos anblickte, fügte sie hinzu: »Mir können Sie es sagen. Wenn ich auch ein loses Mundwerk habe, ich kann schweigen wie das Grab. Sind Sie vielleicht ein Schriftsteller oder Journalist? Sammeln Stoff? Oder so ein Soziologe, der irgend etwas testen will? Auf mich können Sie zählen. Diese Sachen finde ich wahnsinnig interessant. Der Zarewitsch Peter hat sich so in der halben Welt herumgetrieben, inkognito. Das habe ich vor kurzem gelesen. Und bei Ihnen…« Sie wiegte den Kopf, dann nahm sie Nasreddins Hand und wurde mit einem Schlag unsicher. Nasreddin war selbst erstaunt, wie diese seine Hand aussah. Das hatte nicht die Stunde des Pflückens bewirkt, das war eingekerbt, tief und rissig; eine Hand, gewohnt zuzupacken, Arbeit in Erde und rauhem Milieu zu verrichten. So kannte Nasreddin seine Hand nicht. Und nur zu gut hatte er in Erinnerung, wie ihn Blasen quälten, als er das Lehm-Stroh-Gemisch für eine neue Mauer am Ziegenstall gerührt hatte. Diesen Händen, die er jetzt sehr nachdenklich betrachtete, würde das nicht das geringste ausgemacht haben.
     »Na, na«, bemerkte sie bedauernd, »ausgesprochene Schriftstellerhände sind das nicht, trotzdem. Vielleicht machen Sie das schon länger.«
    Was für einen Unsinn sie erzählt, dachte Nasreddin. Die Geschichte mit den Händen ging ihm noch im Kopf herum. Und die Frau in der roten Maschine von vorhin… Es ist leicht, sich etwas vorzunehmen, aber schwer, es zu halten. Habe ich mir nicht vorgenommen, mich von dem Rätselhaften um mich her nicht beeindrucken zu lassen? Und nun? Mit einem Seufzer pflückte Nasreddin weiter. »Ich bin ein Chodscha«, betonte er. »Und Allah hat mich begnadet. Es kommen viele Schüler zu mir. Weißt du, Töchterchen, ich lehre sie nicht nur die Suren des Korans. Allah ist mein Zeuge, daß sie das Alleinseligmachende sind. Aber man begreift sie besser, saugt man

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