Der Geist des Nasredin Effendi
schlecht erschien ihm die List des Vorsitzenden nicht. Ein Fuchs, dachte er und begriff gleichzeitig nicht, daß jemand solch eine wie von Allah selbst gesegnete Gabe nicht annehmen wollte. Ein Ungläubiger also. Aber du, Nasreddin, fragte er sich, würdest du? Du bist Chodscha und nicht Bauer… »Hast du gelernt – in einer Schule, meine ich?«
»Na, du stellst Fragen. Natürlich. Wie jeder. Ich war freilich nicht einer der Besten… Sag mal, bist du ganz gesund?« Er sah Nasreddin prüfend an. »Zu verstellen brauchst du dich vor mir nicht. Und wenn du mit mir auskommen willst, solltest du mich nicht veräppeln.«
Nasreddin hielt es für klüger, Zurückhaltung zu üben, was seine Person anging. Er fragte statt dessen nach allem möglichen, was den Kolchos betraf, erfuhr so, daß im Norden an dessen Areal die Kysylkum, die große Wüste, stieß, daß man mit einem ausgeklügelten Be- und Entwässerungssystem dieser jährlich Hunderte Hektar Baumwollfelder abrang und daß es ebendiese Neuzugänge an Land bewirkten, daß man jetzt mit dem Plan ins Hängen geraten war. Vorsichtig hatte da Nasreddin gefragt, was denn eigentlich geschehe, wenn man ein paar Sack Baumwolle weniger pflücke als vorgesehen. Da hatte der andere ihn wieder mit einem scheelen Blick bedacht, gefragt, wo er eigentlich lebe, der Nasreddin Chodscha.
Dann jedoch war er eine Weile still geworden, offensichtlich mußte er überlegen, doch danach sprudelte er förmlich über, schilderte, wie man in den Fabriken wartete, der Export in die Knie ging, dadurch der Import nicht floriere, was wieder zur Folge hätte, daß man diese und jene Maschine nicht zur Verfügung hätte, damit… Nasreddin hatte dann nichts mehr so richtig aufgenommen. Er konnte sich schlecht vorstellen, daß ein paar fehlende Sack Baumwolle vom Kolchos »Neue Ernte« solche Auswirkungen verursachen sollten. Allerdings, wenn sie alle so dächten…
»… und dann gibt es weniger Kochtöpfe beispielsweise, und wenn du einen brauchst, bekommst du ihn nicht«, führte Igor aus.
»Ich brauche in der Tat keinen Kochtopf«, antwortete Nasreddin.
»Du nicht, aber andere vielleicht.« Igor wurde ein wenig unwillig, weil er annahm, daß Nasreddin ihn anscheinend zum besten hielt.
»Nun, da pflücken wir nächstes Jahr mehr, und schon bekommt jener seinen Topf.«
»Nächstes Jahr, nächstes Jahr…«
»Was ist dabei?« fragte Nasreddin naiv. »Er hat dieses Jahr keinen Topf, dafür sind seine Hände nicht so zerkratzt von den Büschen, er hat Zeit, das Dach auf seiner Hütte auszubessern und in eurer Abendschule…«, davon hatte ihm der andere erzählt, daß der Kolchos eine solche unterhielt, »besser aufzupassen oder ein Kind zu zeugen, was doch auch etwas wäre…«
»Das man nicht ernähren könnte, weil man keinen Topf hat«, erwiderte der andere.
»Es braucht ihn erst im nächsten Jahr, Freund…«
»Hör auf, Nasreddin, hör auf, wenn du mich nicht auf die Palme bringen willst.«
»Palmen…« Es war, als lausche oder gar träume Nasreddin diesem Wort hinterher. »Im Park des Gebieters in Samarkand standen sie in großen Kübeln, und jede hatte einen eigenen Diener. Sie haben mir die Gewölbe gezeigt, in denen sie den rauhen Winter überstanden. Tag und Nacht brannten dort Fackeln, damit sie Licht und Wärme hatten.«
Igor atmete hörbar unwillig aus. »Heute stehen sie in Samarkand auch herum, betreut werden sie von der Stadtwirtschaft, und im Winter stehen sie in Glashäusern, mein Gott, was ist dabei. Und mit dem Gespinne von deinem Gebieter kannst du getrost aufhören. Dir muß beim Lesen eines Geschichtsbuchs ein Relais hängengeblieben sein, eingerastet – und aus, hm?«
Nasreddin verstand abermals nicht, hatte jedoch das Gefühl, daß den anderen der unbeabsichtigte Ausflug zu Timur unwillig gemacht hatte, also würde er mit derartigen Erinnerungen in Zukunft vorsichtiger sein. »Du warst in Samarkand?« fragte er.
»Zweimal.«
»Wie – sieht es dort jetzt aus?« Das »jetzt« hätte Nasreddin gern zurückgenommen, aber Igor Josephowitsch überhörte es.
»Wie soll es schon. Es wird viel gebaut, viele Touristen. Als Einheimischer kommst du nirgends rein. Und die Preise verderben sie außerdem. Sie schleppen viele Dinge ein, willst du mal ein kleines Geschäftchen machen, einen Riegel Kaugummi zum Beispiel gut an den Mann bringen, bekommst du nichts mehr dafür.«
»Touristen«, sagte Nasreddin. Aber nicht als Frage, obwohl es als
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