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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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tun es in einer Art…«, sie schüttelte den Kopf, »die einen ängstlich machen kann.«
    Der Direktor kehrte mit den leeren Baumwollsäcken zurück, reichte dem Mädchen die Marke und sagte anzüglich: »Eine kupferne. Eine ganze Handvoll Erdklumpen hat Maria Alexandrowna herausgelesen. Und das ist sicher nicht alles.«
     »Iwan Michailowitsch, sagen Sie es ihm, daß es wahr ist. Timur, der Lahme, ist seit einem halben Jahrtausend dahin. Unser Onkel Nasreddin glaubt mir nicht.«
     Jetzt blickte der Direktor auf Nasreddin. »Ist Ihnen nicht wohl, Bürger?« fragte er förmlich. »Können wir etwas für Sie tun? Ein Schluck Wasser vielleicht? Sie sind blaß.«
    In der Tat, in Nasreddins Ohren summte es, und ihm wurden die Knie weich. Er hörte nicht so recht, was dieser Direktor zu ihm sagte. Seine Gedanken schienen blockiert, sie kreisten nur um das eine: seit fünfhundert Jahren, seit fünfhundert Jahren! Dabei wollte ihm, dem Chodscha Nasreddin, Timurs Untertan, der Chan von Chiwa den Kopf abschlagen lassen – vor drei Tagen. Und das alles ist noch so gegenwärtig: Die Häscher reißen mich von der Strohschütte des Kerkers, streifen mir noch das Sackgewand über, zerren mich hinauf in die Sonne gegen alles Sträuben, führen mich in brutalem Griff durch die johlende Menge zum Richtplatz. Dort zwingen sie mich in die Knie, reißen mir an den Haaren den Kopf hoch, damit ich zusehen muß, wie sie wenige Schritt vor mir Nilufar scheinbar behutsam, mit einem Kissen unter den Knien, zum Block beugen. Ich sehe am Muskelspiel der bloßen Arme der Henker, wie sie brutal und widerstandserstickend zufassen. Nilufars letzter Blick, liebevoller, nicht vorwurfsvoller, eher um Verzeihung flehender Blick, gilt mir. Da richte ich mich auf, schüttle die Hand aus meinem Haar, zeige, daß ich, wie sie, gefaßt und gefeit bin in der Gewißheit, daß wir uns – noch ehe die Sonne die Kuppeln zum Leuchten bringen wird – in Allahs Reich in die Arme sinken werden. Wie schön ihr volles Haar über den – o welche Ironie! – seidenbespannten Richtblock wallt.
     Ich höre nicht das, was der Wesir verliest, sehe keine Gesichter in der Menge, nicht das des Chans, der es sich nicht hat nehmen lassen, der Enthauptung seiner Beute, der schönen Nilufar, die man für die Hochzeit mit ihm seit Monden vorbereitete, und deren verruchten Liebhabers, dieses hergelaufenen Nasreddin, beizuwohnen. Sicher glänzt sein feistes Gesicht, spielten Genugtuung und befriedigte Eitelkeit darin, nicht ein Zucken des Mitleids, kein Anflug der Gnade.
    Sie hebt die Hand, wie um Nasreddin Mut zuzusprechen.
     Und sie hängen mit den Blicken ineinander auch dann noch, als sich die weiße Seide dunkelrot färbt, mit dem schwarzen Haar einen unvergeßlichen Kontrast bildend, noch als sich der liebe Kopf langsam, als würde jemand der Bewegung wehren, neigt.
     Aber da reißt man Nasreddin hoch im Aufschrei der Menge, um das Schauspiel mit seinem Kopf zu vollenden.
     Er wird brutal vor den Klotz in den Staub gedrückt, jemand vor ihm, dessen Beine er nur sieht, reißt das rotdurchtränkte Seidentuch von dem Block. Wieder an den Haaren zwingt man seinen Kopf in die Kuhle, jetzt…
     Ein schnellaufender schwarzer Vorhang kam von rechts, nahm die Welt… »Bürger Nasreddin!«
     Jemand schüttelte ihn. Rasch kam er zu sich, fand sich kniend, gebeugt über den Baumwollsack. Des Direktors Hand lag auf seiner Schulter, vor ihm stand das Mädchen mit den hundert Zöpfen, Besorgnis im Gesicht.
    »Kommen Sie, wir gehen in den Schatten. Sicher macht Ihnen die Sonne zu schaffen, die ungewohnte Arbeit. Es wird gleich besser…«
     Nasreddin richtete sich taumelig auf. »Nein, nein«, stammelte er, »es geht. Man wird alt«, fügte er mit einem mißglückten Lächeln hinzu. »Fünfhundert Jahre…«, murmelte er, »wie sollte das möglich sein…?« Schweigsam, mit verschlossenem Gesicht nahm er die Arbeit wieder auf. Versuche seiner linken und rechten Nachbarn, mit ihm weiterhin zu sprechen, quittierte er einsilbig. Schließlich gaben sie es auf, sich mit ihm zu unterhalten.
     Da Nasreddin alsbald seiner wenig ausgeprägten Pflückgeschicklichkeit wegen ins Hintertreffen geriet, er also bald allein wie eine weiße Laufmasche in einem ebenmäßigen Gestrick stand, allein mit dem Wollsack und – seinen Gedanken, die träge wieder in Gang kamen, überlegte er: Nähme man das Gehörte also als Tatsache, und er fürchtete, daß er dies wohl mußte, würde sich manches

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