Der Geisterfahrer
gesehen. Gehen wir?«
Sie brachen sofort auf, nicht zur Freude von Philipp, der noch bleiben wollte und seinen Vater auf dem Weg zur Tram fragte, ob Dragan ein Jugo sei.
»Man sagt nicht Jugo!«, herrschte ihn Charles an, so heftig, dass Philipp zusammenzuckte und schwieg.
Als Olivia ihren Sohn zu Bett gebracht hatte, erzählte ihr Charles von der Episode heute Morgen und sagte dann, wie sehr es ihm missfalle, dass Dragan sie vorhin zu dritt gesehen habe und ob sie finde, man müsse Philipp irgendwie warnen.
Olivia war unsicher, und am nächsten Morgen, nachdem
Charles zur Arbeit gegangen war, rief sie Philipp eine allgemeine Warnung vor fremden Männern in Erinnerung, mit denen man nicht gehen sollte.
Philipp sagte, das wisse er schon, und fragte, ob sie das wegen der drei Ju-, wegen der drei Männer sage, die gestern am Teich gesessen seien.
»Wenn du’s genau wissen willst, ja. Einer ist wahrscheinlich böse auf Papi.«
»Dragan, der in der Mitte«, ergänzte Philipp.
»Dann weißt du ja Bescheid«, sagte seine Mutter.
»Klar«, antwortete Philipp, »der ist doch wegen Papi aus dem Laden geflogen.«
Es verging nun kein Tag, an dem sich Dragan nicht auf irgendeine Art bemerkbar machte, sei es, dass er am Vorortsbahnhof oder am Hauptbahnhof auf Rusterholz wartete, sei es, dass er im Stehcafé in der Stadt neben der Tür saß oder dass er auftauchte, wenn die Schule aus war, und Philipp seinen stechenden Blick zuwarf, denn dieser hatte sich ihn gemerkt und erzählte seinen Eltern jedes Mal, wenn er ihn gesehen hatte. Auf die Frage, ob er ihn irgendwie bedroht habe, sagte Philipp, nein, er stehe einfach auf der andern Straßenseite. Als wieder ein Telefonanruf kam, ohne dass sich der Anrufer meldete, nannte ihn Olivia bei seinem Namen und sagte, er solle doch einmal sagen, was er gegen sie habe, aber die Verbindung brach wieder ab, ohne dass ein Wort gefallen wäre.
Wenn er sich Rusterholz zeigte, dann meistens in Begleitung eines oder zwei seiner Kollegen, und war er allein, gelang es ihm stets, sich einer direkten Begegnung zu entziehen.
Sie hatten sich schon überlegt, ob sie zur Polizei gehen sollten, waren aber bis jetzt davor zurückgeschreckt, vor allem Charles fand das zu dramatisch und fürchtete, bei der Polizei würde man sie auslachen. Dragan hatte nie Anstalten gemacht, tätlich zu werden, und konnte man jemandem verbieten, am Bahnhof zu stehen oder am Straßenrand? Am ungemütlichsten war ihnen, dass er ihren Sohn kannte, und Olivia richtete es öfters so ein, dass sie bei Schulschluss in der Nähe des Schulhauses war, ohne dass es aussah, als hole sie Philipp ab, denn das wollte er nicht. Im Übrigen hatte sie die Hoffnung, all das höre von selbst auf, sobald Dragan eine neue Stelle gefunden haben würde.
Es mochten etwa drei Wochen vergangen sein, als Rusterholz einen stummen anonymen Anruf im Büro bekam. Sofort sprach er Dragan an und sagte ihm, er werde ihn anzeigen, wenn er nicht Schluss mache mit seinen Belästigungen. Empört hängte er auf, als nur noch das Besetztzeichen zu hören war, und war entschlossen, nach der Arbeit den Polizeiposten aufzusuchen.
Als er aus dem Vorortsbahnhof trat, hörte er eine äußerst eigenartige Musik. Zuerst glaubte er, es handle sich um eine Fasnachtsclique, dafür war es aber noch viel zu früh, auch klang sie zu gut organisiert, es war etwas Schnelles, Schneidendes, Gehetztes darin, Blechinstrumente wurden von einer Pauke angetrieben, als zöge eine Schwadron Janitscharen durch das Quartier. Er betrat den Marktplatz, woher die Töne kamen, ging an den Schachspielern vorbei und bemerkte einen Serben, der mit einem Inder spielte, einem Inder mit einem Turban, der siegesbewusst
lächelte, während der Serbe stirnrunzelnd mit seinen Sekundanten tuschelte. Nun zog aus der Querstraße langsam eine Gruppe Musikanten auf den Platz, Rusterholz näherte sich ihr und blieb stehen, fasziniert von der schmissigen Musik, die er nirgends beheimaten konnte. Es waren lauter Männer in dunklen, etwas schäbigen Anzügen, die aus Trompeten und Posaunen ihre Rhythmen und Melodien schmetterten, und neben ihnen her ging einer, der wohl ihr Leiter oder Manager war, und verteilte Zettel an die Passanten. Rusterholz machte ein paar Schritte auf ihn zu und bekam von ihm auch einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem der Name des Orchesters stand und das Lokal, in dem sie heute Abend auftraten. Rusterholz blieb stehen, ließ die Männer mit ihren Instrumenten an sich
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