Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
und begann so behutsam wie möglich mit dem Abfragen der verschiedenen Sprachen, doch es ging nicht lang, da traten Sha Mun Tränen in die Augen.
    »Schon gut«, sagte ich, »wir wollen dir ja nur helfen.«
    »Jürg«, sagte meine Frau zu mir, »wäre es nicht besser, du würdest dich für einen Moment zurückziehen? Vielleicht ist es ihr wohler unter Frauen.«
    »Na dann viel Glück«, sagte ich und ging in die Küche hinüber. Ich war etwas pikiert, aber über das Genderthema war mit meiner Frau nicht zu spaßen, das wusste ich, und so fügte ich mich und füllte den Geschirrspüler ein. Im Übrigen konnte es ja sein, dass sie recht hatte.
    Als Barbara nach einer Weile zu mir kam und ich sie
fragte, wie es gehe und ob sie etwas herausgefunden hätten, schüttelte sie nur den Kopf und sagte, es sei alles gleich geblieben, die Frau sage kein Wort. »Ich habe Angst«, fügte sie hinzu, »vielleicht ist sie ein Alien.« Sie war gerade in einer Science-Fiction-Phase. Nach und nach kamen auch Anna und meine Frau in die Küche. Sie habe Sha Mun, sagte Erika, ins Bett geschickt, da sie offensichtlich sehr müde sei, habe ihr ein Nachthemd von sich gegeben und nochmals das Badezimmer gezeigt, aber sie wisse nicht, ob sie es auch abschließen werde, und bitte uns um Vorsicht, wenn wir es benützten.
    »Und was tun wir jetzt?«, fragte Anna, nicht ohne Heftigkeit.
    Ich fragte, ob jemand schon etwas von unserm Gast erzählt habe, was alle verneinten.
    »Eure Freunde wissen nichts?«, fragte ich die Töchter, indem ich an ihre endlosen Telefongespräche dachte.
    Ich wurde mit Empörung überschüttet. Ob ich sie für kleine Kinder halte oder was. Nein, sagte ich, ich wisse bloß, wie schwierig es sei, so etwas für sich zu behalten, es ginge mir ja selbst so, dass ich es gerne jemandem erzählen würde, allein um seine Meinung zu hören, und sie sollten an Frau Jucker im unteren Stock denken, und übermorgen käme unsere Haushalthilfe, und am Sonntag Erikas Eltern. Wenn wir wirklich wollten, dass niemand etwas von dieser Frau erfahre, erfordere das eine ganz genaue Strategie. Das sei mindestens so heikel, als müsse man einen Flüchtling verstecken.
    »Und wieso soll eigentlich niemand davon erfahren?«, fragte Barbara.

    »Weil es ein Wahnsinn ist und man uns für verrückt halten würde!«, rief meine Frau.
    Das täte ihr vielleicht gut, sagte Anna, sonst erkläre doch sie die andern für verrückt.
    Meine Frau verbat sich diese Unterstellung. Sie habe ihr schon oft genug gesagt, dass sie Psychologin sei und nicht Psychiaterin.
    Aber trotzdem schicke sie Kinder in Sonderklassen, weil etwas mit ihnen nicht stimme, oder etwa nicht?, fuhr Anna fort.
    Ich sagte, sich jetzt über so etwas zu streiten, bringe uns überhaupt nicht weiter, sondern wir müssten uns darüber einig werden, wie wir uns ab morgen verhalten sollten.
    Und wenn sie über Nacht wieder verschwinden würde? fragte Barbara.
    So sehr uns allen vor dem Gedanken graute, dass ein Mensch, der mit uns gegessen und getrunken hatte, sich in nichts auflösen könnte, so sehr erleichterte er uns auch. Wenn dieses Wesen auf unerklärlichem Weg gekommen war, wieso sollte es nicht auf unerklärlichem Weg wieder gehen?
    Leider erwies sich diese Hoffnung als trügerisch.
    Als wir am nächsten Morgen, nachdem Barbara und ich die Nacht an unüblichem Ort verbracht hatten, am Frühstückstisch saßen und sich Sha Mun im Badezimmer wusch, beschlossen wir, an diesem Tag noch Stillschweigen über das Vorgefallene zu bewahren. Ferner gab ich bekannt, dass ich einen Waschmaschinenmonteur kommen lassen wolle, um unsere Maschine zu überprüfen, was auf die Zustimmung meiner Frau und der Töchter stieß.

    Sha Mun betrat die Küche, als die Töchter am Aufbrechen waren. Sie wirkte etwas entspannter und lächelte beiden zu, als sie sich mit »Tschau, Sha Mun!« von ihr verabschiedeten. Wir boten ihr Tee an und wiesen auf alles hin, was auf dem Tisch stand, Brot, Butter, Konfitüre, Honig, Käse, Joghurt, Milch, Müsli, Corn Flakes. Ich stand auf und toastete zwei Brote. Dann hielt ich ihr eines davon hin. Sie nahm es nickend, und ich nahm das andere.
    Nun musste sich Erika auf den Weg machen. Sie komme über Mittag nach Hause, sagte sie, und es schien mir, als schleiche sich etwas Fremdes in ihren Blick, als sie mich und die junge Frau musterte, wie wir am Küchentisch saßen.
    Ich sei froh, sagte ich nur, und als sie gegangen war, überlegte ich mir, ob es für unsere Besucherin

Weitere Kostenlose Bücher