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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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dabei entstehenden Risse erforsche
die Dekonstruktion. Das sei die eigentliche Botschaft Derridas.
    Bis am Abend hatte ich meinen Artikel zu Ende geschrieben. Der kritische Ansatz, den ich ihm ursprünglich zugrunde legen wollte, war zu meinem Erstaunen einer fast enthusiastischen Würdigung gewichen. Ich druckte ihn aus, um ihn morgen Vormittag nochmals durchzulesen, bevor ich ihn an die Redaktion mailen würde.
    Als ich in die Wohnung herunterkam, hatten die Mädchen ein Pilzrisotto gekocht, und Barbara klopfte gerade an die Tür des Gästezimmers und rief »Sha Mun! Essen!« in einem Ton, als bitte sie ihre Patin oder eine Verwandte zu Tisch.
    Heute waren die Töchter wieder gesprächiger, und die Gegenwart einer fremden Person schien sie weniger zu beeinträchtigen als gestern. Inzwischen war auch klar, dass von Sha Mun nur minimale Reaktionen zu erwarten waren und es sinnlos war, sie zu irgendeiner Äußerung einladen zu wollen. Ich erzählte von der neuen Waschmaschine, die morgen installiert würde, was auf allgemeine Zustimmung stieß. Die Töchter fanden auch in Ordnung, dass meine Frau die Haushalthilfe abbestellt hatte.
    Morgen, sagte Anna, würde ihr Freund sie hier abholen, um mit ihr ins Kino zu gehen, und sie hoffe, dass er dann nicht gerade auf unsern Gast stoße, es wäre wohl am besten, er käme direkt zu ihr hoch. Wie praktisch, dann könne sie ja mit ihm in Ruhe schmusen, sagte ihre Schwester, worauf Anna sie als eifersüchtige Ziege bezeichnete.
    Meine Frau unterbrach sie und sagte, sie würde gern mit uns allen darüber sprechen, wie es weitergehen solle,
und sie bitte uns, später am Abend nochmals zusammenzukommen.
    Als ich das Wohnzimmer betrat, leuchtete mir vom Tisch eine riesige, pechschwarze Sonne entgegen, die über einem gelben Wüstenstreifen an einem roten Himmel hing. »Habt ihr das gesehen?«, fragte ich meine Töchter, als sie hereinkamen, »das hat Sha Mun gemalt.« »Wow!«, riefen sie beide, und Barbara holte sofort meine Frau, die eher erschreckt als begeistert war, als sie das Bild sah. »Eine schwarze Sonne«, sagte sie nachdenklich, während die Mädchen die leise lächelnde Sha Mun mit Worten wie »sackstark« und »geil« und mit nach oben gerichteten Daumen für ihr Kunstwerk lobten.
    Dann saßen wir eine Weile da, ohne etwas zu sagen, und tranken einen Kräutertee, worauf Sha Mun aufstand, sich verneigte und ihr Zimmer aufsuchte.
    Beim folgenden Gespräch, in dem eine fast feierliche Familienratstimmung aufkam – noch nie hatten wir ein so ernstes Problem zusammen zu besprechen gehabt – sagte meine Frau, sie fände, es könne nicht so weitergehen und wir müssten uns einen Rat holen; sie würde gerne den Parapsychologen anrufen, den sie kenne, und ihm ganz genau erzählen, was passiert sei. Immerhin sei es möglich, dass er schon von etwas Ähnlichem gehört habe und dass er das, was hier ablaufe, irgendeinem Muster zuordnen könne.
    Das würde heißen, dass es bei uns spuke, das fände sie ganz grässlich, sagte Barbara, ob wir nicht lieber zur Polizei gehen sollten. Wenn es bei uns spuke, könne doch die Polizei nichts machen, sagte Anna, und warum wir
nicht alle einfach davon erzählten, schließlich könnten wir nichts dafür und hätten auch nichts Schlechtes gemacht. Barbara sagte, das könne sie schon, aber wenn sie ihren Freundinnen erzählen würde, bei uns sei eine wildfremde Frau aus der Waschmaschine gekrochen, würden sie alle glauben, sie spinne. Deshalb, sagte meine Frau, sei sie ja dafür, sich zuerst jemandem anzuvertrauen, der beruflich schon mit derartigen Vorfällen in Kontakt gekommen sei. Der würde auf keinen Fall davon ausgehen, dass wir verrückt seien.
    Ich sagte, lange könnten wir ohnehin nicht mehr geheim halten, dass bei uns ein Gast wohne, für Sonntag hätten sich ja Erikas Eltern angemeldet, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis die aufmerksame Frau Jucker Wind davon bekomme, ich hätte mich heute schon beinahe verraten, als ich ihr erklären musste, weshalb wir eine neue Waschmaschine anschafften, und am Wochenende sei ihr Mann zurück, also könnten es von mir aus alle erzählen, wem sie wollten, ich meinerseits sei allerdings immer weniger darauf erpicht, mich mit jemandem auszusprechen, und wüsste auch noch nicht, was wir meinen Schwiegereltern sagen sollten.
    Darauf rief meine Frau ihren Studienkollegen an, der so interessiert an der Geschichte war, dass er seinen Besuch für den morgigen Nachmittag ankündigte. Was er denn

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