Der Geisterfahrer
wollten mir die zusammenfassenden Sätze einfach nicht gelingen. Zu schwerwiegend war die Störung im unteren Stockwerk. Schließlich stieg ich durchs Treppenhaus nochmals in den Keller hinunter und schaute mir die Waschmaschine an. Ich öffnete sie, griff in die Trommel hinein und drehte sie ein bisschen, wie ich es zu tun pflege, wenn ich beim Herausnehmen der Wäsche nach letzten Socken suche. Die Trommel saß zuverlässig in ihrer Halterung, zudem war sie eindeutig zu klein, um einen Menschen aufzunehmen, und sei er auch von zierlicher Gestalt. Ich rüttelte an der ganzen Maschine, sie thronte fest auf ihrem Sockel, ich schaute hinter die Maschine, dort, wo Kabel und Leitungen herauskommen, aber außer den Spinnweben und einem vertrockneten Lappen, den ich mit einem kleinen Ekel herausfischte, fiel mir nichts Außergewöhnliches auf. Ich schritt die ganze Waschküche ab, ebenso den anliegenden Heizungsraum, um mich zu vergewissern, dass hier nirgends der berühmte Gang vom andern Ende der Welt mündete.
Ratlos stieg ich die Treppe hinauf in unsere Familienwohnung, ging leise am Gästezimmer vorbei, in dem es jetzt ganz ruhig war, und setzte mir in der Küche einen Tee auf. Ich ging mit der Tasse nach oben, wo inzwischen ein Anruf eingegangen war, den ich gleich abhörte. Der italienische Denker und Publizist Norberto Bobbio war gestorben, und eine Kulturredaktorin bat mich um einen Nachruf bis heute Abend. Sofort rief ich zurück und sagte ab. Sie war sehr enttäuscht, ich hätte doch schon einmal für sie eine schöne Rezension Bobbios geschrieben,
sie wisse auch gar nicht, wen sie sonst fragen könne und wo denn das Problem sei. Ich log, dass ich heute Abend den Derrida-Artikel abliefern müsse, der erst zur Hälfte geschrieben sei, und empfahl ihr aufs Geratewohl einen jungen Romanisten, von dem ich kürzlich in einer Literaturzeitschrift einen brillanten Essay über Italo Calvino gelesen hatte. In Wahrheit hatte ich mit meinem Artikel noch bis übermorgen Zeit, und dieser Gedanke beruhigte mich etwas.
Ohne dass ich einen einzigen Satz weitergekommen wäre, ging ich gegen Mittag in die Wohnung hinunter und klopfte an die Tür des Gästezimmers. Sogleich öffnete die Fremde, und ich sagte ihr mit Gebärdenunterstützung, dass ich etwas zu Mittag koche und wenn sie mit mir essen wolle, sei sie herzlich eingeladen. Ich zeigte dabei zur Küche, und tatsächlich nickte sie und folgte mir.
Dann bat ich sie, sich zu setzen, was sie auch sogleich tat, und bereitete in kürzester Zeit meinen Standard-Quicky zu, Nudelreste in der Bratpfanne, zu denen ich zwei Eier aufschlug, mit den Nudeln verrührte und nachher zwei Tomaten hineinschnetzelte, eine schmackhafte Mahlzeit, die in wenigen Minuten angerichtet ist. Ich schenkte ihr und mir ein Glas Mineralwasser ein und wünschte ihr einen guten Appetit. Sie schaute mir genau zu, wie ich mit dem Besteck umging, und machte es dann ebenso, aber ich hatte das Gefühl, sie habe wenig Übung darin. Als das Telefon klingelte, stand ich auf und nahm es ab. Es war meine Frau, die fragte, wie es gehe. Es geht, sagte ich, wir säßen gerade beim Mittagessen. Sie sei also noch da? Ja, sagte ich, offensichtlich. Und ob ich etwas herausgefunden
habe? Nein, sagte ich, gar nichts. Sie versprach, gleich nach ihren Nachmittagsberatungen nach Hause zu kommen, worüber ich froh war.
Als ich wieder in die Küche kam, hatte die Fremde nicht weiter gegessen. Ich entschuldigte mich, setzte mich und aß weiter, worauf auch sie weiter aß, wenn auch sehr langsam. Als mein Teller leer war, war der ihre noch halb voll, aber sie legte ihr Besteck ebenfalls hin und hörte auf zu essen. Alle meine Gesten, mit denen ich sie zum Weiteressen einlud, blieben wirkungslos.
»Kaffee?«, fragte ich, »coffee – kava?«, aber das Wort war ihr unbekannt. Als ich »Tee?«, sagte und die Teedose zeigte, die am Morgen auf dem Tisch gestanden hatte, nickte sie.
Also machte ich heißes Wasser und schüttete in unserm Glaskrug einen chinesischen Räuchertee an. Meine Frage nach Zucker und Rahm beantwortete sie mit einer winzigen Abwehrbewegung ihrer beiden Hände, und so verzichtete auch ich darauf, und nun tranken wir den Tee in kleinen Schlucken.
Die Stille zwischen uns war mir schwer erträglich. Es musste doch irgendeine Kommunikation möglich sein. Ich zeigte auf mich und sagte auf englisch: »George.« Dann zeigte ich auf sie und fragte: »Und Sie? Ihr Name?« Sie hielt ihre linke Hand an die Brust,
Weitere Kostenlose Bücher