Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
fügte ich hinzu: »Sha Mun okay?« Nun glaubte ich ein feines Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, aber sie wirkte abwesend.
    Eine Nachbarin winkte mir zu, etwas erstaunt, wie mir schien, ich winkte ebenfalls und ging rasch in die Küche zurück. Ich halte mich für ziemlich unabhängig von der Meinung der Leute, trotzdem überlegte ich mir, was sie sich wohl denken mochte, als sie mich mit einer jungen Asiatin auf dem Küchenbalkon sah.
    Das Kaffeekännchen keuchte und brodelte, ich schenkte mir eine Tasse ein, da klingelte es an der Wohnungstür. Ich zog die Küchentür hinter mir zu, bevor ich öffnete. Es war Frau Jucker, welche fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Sie hätte den Rauch gerochen, sei dann vors Haus gegangen,
um festzustellen, woher er käme, und hätte auf unserm Küchenbalkon eine fremde Frau vor einem Feuerchen gesehen. Das sei richtig, sagte ich, meine Frau nehme an einem psychologischen Symposium über unser Verhältnis zu fremden Kulturen teil, und wir seien bereit gewesen, eine Referentin einzuladen, wir hätten ganz vergessen, es ihr zu sagen. Woher denn die Dame komme, wollte sie wissen. Aus Zentralasien, sagte ich, irgendwo aus den Steppen Zentralasiens, da müsse sie meine Frau fragen. Sie trage ja, fuhr Frau Jucker fort, das Kleid, von dem wir einmal nicht gewusst hätten, wem es gehöre. Richtig, sagte ich, ganz richtig, sie hat damals etwas Gepäck vorausgeschickt, und wir wussten noch gar nicht recht, dass sie bei uns wohnen würde, aber die Verwirrung habe sich dann gelegt, doch ich sollte nun unbedingt noch einen Artikel fertig schreiben, und ob sie daran denke, dass am Nachmittag die Waschmaschine ersetzt werde.
    Aufatmend schloss ich die Wohnungstür. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal ein solches Lügengespinst improvisiert hatte, jedenfalls war es ein kleiner Vorgeschmack darauf, was mich erwartete, wenn ich nicht die Wahrheit sagte. Zugleich merkte ich, dass es mir unmöglich gewesen wäre, ihr zu sagen, die Fremde sei genau so wie ihr Kleid aus der Waschmaschine gekommen, und das sei der Grund, warum wir diese ersetzten.
    Es war mir nach diesem Gespräch nun doch etwas unangenehm, dass ich Sha Mun nicht dazu bewegen konnte, wieder in die Wohnung zu kommen. Aber sie mit Gewalt hineinzuzerren wäre wohl das beste Mittel gewesen, noch mehr Aufmerksamkeit auf unsern Balkon zu lenken,
also gab ich meine Versuche auf und wollte ihr eine Schale der Suppe hinausreichen, die ich mir mittags zubereitete, doch sie lehnte ab und verharrte in ihrer Starre.
    Am Nachmittag ging alles sehr schnell. Zuerst kam der Waschmaschinenmonteur mit einem Kollegen, montierte die alte Maschine ab und installierte die neue, erklärte mir ihre Funktionen, und während die beiden die gebrauchte Maschine in den Lieferwagen trugen, kam meine Frau mit dem Parapsychologen nach Hause, den sie am Bahnhof abgeholt hatte. Zu dritt gingen wir das Treppenhaus hoch, und ich erzählte, dass Sha Mun die ganze Zeit auf dem Balkon verbracht hatte. Wir traten in die Küche, und ich sah sofort, dass der Balkon leer war. »Oh«, sagte ich, »jetzt hat sie sich doch anders entschieden. War ja auch Zeit.« Ich stellte mich vor die Tür des Gästezimmers und horchte, aber es war weder ein Summen noch sonst etwas zu hören. »Sha Mun!«, rief ich und klopfte, »Sha Mun, bist du da?«
    Sha Mun war nicht da, ihr Zimmer war leer, nur ihr Geruch war noch da. Wir warteten, und ich dachte dar über nach, ob sie das Haus verlassen haben könnte, während ich mit den Monteuren im Keller war. Theoretisch wäre das möglich gewesen, und sie hätte dann auch wieder zurückkommen können, trotzdem schien es mir unwahrscheinlich.
    Und sie kam auch nicht zurück. Ich zeigte meiner Frau und ihrem Kollegen die Reste des Räucheropfers auf dem Balkon und erzählte von der verbrannten Zeichnung. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. Ich rannte in den oberen Stock, riss die Tür meines Arbeitszimmers auf und
war erleichtert. Meine Skizze, in welche sie ihre schwarze Sonne eingefügt hatte, war noch da. Es war das Einzige, was von ihr blieb. Der Parapsychologe ließ sich alles nochmals erzählen, wir gingen mit ihm in die Waschküche hinunter, auch unsere Töchter erwiesen sich als gesprächsbereit, als sie nach Hause kamen, aber er konnte nicht mehr dazu sagen, als dass er so etwas noch nie gehört habe.
    Meine Frau und die Töchter waren außerordentlich froh, dass es vorbei war, ich kochte für alle Spaghetti, und es wurde ein

Weitere Kostenlose Bücher