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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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nach einer Diagnose gefragt, sagte der Arzt, es handle sich um einen idiopathischen Pruritus.
    Das Wort Pruritus war Markus bekannt, aber was denn, fragte er, mit idiopathisch gemeint sei, worauf der Arzt, leicht verlegen, wie es Markus schien, zur Antwort gab, das heiße, dass man nicht wisse, woher er komme. Wenn ihm das lieber sei, könne er ihn auch »Pruritus sine materia« nennen, das sei der andere medizinische Ausdruck dafür, der dasselbe meine, einen Juckreiz ohne materielle Ursache. Und ob das häufig sei, fragte Markus. Häufiger als man meine, sagte der Arzt.
    Es erstaunte Markus nicht, dass die Feuchtigkeitscrème, die er von da an regelmäßig anwandte, gar nichts brachte, aber er war entschlossen, die verschriebene Salbe nicht zu benutzen, zu viel Negatives hatte er über die Nebenwirkungen von Cortison gelesen.
    Gegen das Jucken am Haarboden, das sich nach einer Weile einstellte, vermochte auch das Medizinalshampoo, das man ihm in der Apotheke empfahl, nichts auszurichten. Er begann eine Mütze auf seinem Krauskopf zu tragen, die er öfters auf- und absetzte und dabei jeweils mit dem Mützenrand mit möglichst großem Druck über die Kopfhaut fuhr. Er hätte große Lust gehabt, sich mit den Fingernägeln den Schädel blutig zu kratzen, und wusste
zugleich, dass auch dies sinnlos wäre, denn er hatte das Gefühl, der Juckreiz sitze eigentlich in den Haarwurzeln.
    Etwas bedrängte seinen Kopf, und er wusste nicht, was es war. Er wollte es aber wissen, und vor allem wollte er es weg haben, und so begann ein langer Weg durch die Angebote der Homöopathie, der Naturheilkunde, Akupunktur, Fußreflexzonenmassage und Craniosakraltherapie, er bestellte in der Apotheke Medikamente, die man zum Teil von Lieferanten zweifelhaften Rufs kommen lassen musste und die ihm mit einem leichten Stirnrunzeln ausgehändigt wurden. Einmal suchte er sogar einen Zigeuner auf, der als Wunderheiler galt und der ihn, als er seinen Wohnwagen betrat, ohne sich umzudrehen fragte, ob er wegen des Kopfes komme: »Chunnsch wägem Grind?« »Ja«, hatte Markus erstaunt gesagt, und da erst wandte sich der Zigeuner, der sich Django nannte, ihm zu, schaute ihn von oben bis unten an, lachte und sagte, er müsse raus aus diesem Land, »muesch zum Land us!«. Auf die Frage, wohin, sagte Django: »as Meer«, drehte sich wieder um, und damit war die Konsultation beendet.
    Als Markus dann in seinen nächsten Ferien an die Adria fuhr, stellte er tatsächlich eine leichte Besserung fest, die jedoch verflog, sobald er wieder zu Hause war. Er wollte aber zu Hause bleiben, sein Beruf hier gefiel ihm, und ein lächerlicher Juckreiz sollte ihn nicht zum Auswandern zwingen.
    Wer so weit gegangen ist, sucht irgendeinmal zähneknirschend eine Psychologin auf. Markus tat dies auf den Rat seiner Freundin, mit der er damals zusammenlebte. Sein ständiges Kratzen und Knibbeln und die zunehmende
Unrast, die damit verbunden war, hatte sie irritiert und auch eine Vorsicht in ihre Zärtlichkeiten eingebracht, die ihr missfiel. Es konnte sein, dass er, wenn sie über sein Haar strich, aufstöhnte, ihre Hand mit aller Macht auf seinen Kopf drückte und sie dort hin und her führte, etwas, das mit erotischer Lust gar nichts, aber mit dem Abtöten eines Juckreizes alles zu tun hatte. Zudem hatte sie mit leisem Schrecken bemerkt, dass sie sich selbst zu kratzen begann.
    Als Markus nach einigen Sitzungen zur Einsicht kam, er hätte keine langjährige Bindung eingehen sollen, war das für die Freundin keine Überraschung, und sie beschlossen, sich zu trennen. Beiden fiel es schwerer, als sie gedacht hatten, und Markus’ Hoffnung, das Lösen der Beziehung erlöse ihn auch vom zwanghaften Juckreiz, erfüllte sich nicht.
    Und da sitzt er nun, 35-jährig, im heutigen Sprachgebrauch ein Single, nimmt eine Schere zur Hand und schneidet sich das Bild mit dem nachdenklichen Interviewten aus. Dann geht er zur Bücherwand, deren niedrigere Regale von Unterlagen, Unterrichtsmaterialien und sonstigem Aufbewahrtem überquellen, zieht dort einen Kartonordner mit der Aufschrift »Pr. 4« heraus und trägt ihn zum Tisch.
    In seinen vier »Pr.«-Ordnern hat er alles gesammelt, was mit Pruritus zu tun hat, in »Pr. 1« seine eigene Geschichte mit allen Bekämpfungsversuchen, die er sorgfältig protokollierte, in »Pr. 2« den Pruritus als Syndrom, »Pr. 3« enthielt Videoaufzeichnungen und »Pr. 4« Fotos.
    Es war Markus nämlich aufgefallen, dass er mit seinem
Jucken nicht allein war,

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