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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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gedrückt. Schlaf habe er keinen gefunden.
    Man weiß, dass Erikson am nächsten Tag zu einem Arzt in die Sprechstunde kam und seine Geschichte zögernd und undeutlich erzählte, wobei er sehr mitgenommen wirkte. Er sagte, dass er sich nichts anderes vorstellen könne, als dass er ein Männchen im Magen habe, und beschwor den Arzt, ihm dieses herauszunehmen. Als aber weder eine Röntgenaufnahme noch eine Untersuchung der Stimmbänder eine Unregelmäßigkeit an den Tag brachte, schickte ihn der Arzt zu einem Psychiater.
    Dieser nahm auf Grund von Eriksons Darstellung an, dass es sich um eine Halluzination handle, und ergriff entsprechende therapeutische Maßnahmen, die aber keinen Erfolg hatten. Erikson wurde zwar mit der Zeit wieder ruhiger und hörte die Stimme nicht mehr, doch er war überzeugt, dass in seinem Innern etwas sitze, über das er keine Macht habe.
    Von seiner Person ist übrigens bekannt, dass er das Kind eines Einwanderers war, der eine Inländerin geheiratet hatte. Diese hatte sich bald wieder scheiden lassen,
wonach Erikson zuerst bei seinem Vater, der stark trunksüchtig war, aufwuchs, dann aber bis zu seiner Volljährigkeit den Eltern seiner Mutter in Obhut gegeben wurde. Er hatte eine Lehre als Bauzeichner abgebrochen und bediente jetzt ein Vervielfältigungsgerät einer Reproduktionsfirma. Er lebte allein.
    Sein Arbeitsplatz befand sich im Keller eines mehrst öckigen Hauses, welches von der Firma gemietet war. Einmal sollte er ein Paket aus dem Keller in den obersten Stock bringen, betrat den Fahrstuhl, der im Parterre noch von zwei Sekretärinnen und einem Abteilungsvorsteher angehalten wurde, und als diese Leute eingestiegen waren und sich der Lift wieder in Fahrt setzte, sagte die Stimme aus dem Innern Eriksons: »Eine Luftleiter wäre das beste.« Der Abteilungsvorsteher fragte, was er damit meine, und bevor Erikson, der bleich geworden war und mit beiden Händen das Paket umkrampfte, sich entschuldigen konnte, wiederholte die Stimme, diesmal etwas nachdrücklicher: »Eine Luftleiter wäre das beste.« Als der Abteilungsvorsteher, der die krächzende Stimme nicht mit der Person Eriksons vereinen konnte, fragte, ob er Bauchredner sei, hatte dieser nicht den Mut, die Frage zu bejahen, sondern schüttelte bloß den Kopf. Befremdet verließ der Abteilungsvorsteher den Fahrkorb, gefolgt von den Sekretärinnen, deren eine sich die Hand vor den Mund hielt, und Erikson, dem beinahe schwarz vor den Augen war, fuhr noch mehrere Male mit dem Lift hinauf und hinunter, bevor er fähig war, auszusteigen und sein Paket zu überbringen.
    Dieser Vorfall bewog ihn, seine Stelle aufzugeben und
sich in seine Wohnung zurückzuziehen. Jetzt, da er Zeugen gehabt hätte, dass seine innere Stimme zugleich eine äußere Stimme war, getraute er sich in keine Sprechstunde mehr, weil ihn der Gedanke, es könnte im Wartezimmer in ihm zu reden anfangen, unheimlich ängstigte.
    Zudem machte er sich jetzt daran, seiner inneren Stimme mit eigenen Mitteln beizukommen. Er erinnerte sich, dass schwangeren Frauen geraten wird, salzarm zu essen und sich des Alkohols und des Nikotins zu enthalten, und versuchte nun, das Wesen in seinem Innern umzubringen, indem er vom frühen Morgen an schwere Zigarren rauchte, jeden Tag große Mengen Kirsch und Rotwein zu sich nahm und sich sein Essen mit exotischen Gewürzen so scharf wie möglich machte. Dies hielt er aber nicht lange aus, er musste fast täglich erbrechen, und als er sah, dass er sich nicht daran gewöhnen würde, gab er den Versuch auf. Am Tage dieses Entschlusses fastete er und unternahm einen langen Spaziergang, der ihn zu einer Anhöhe oberhalb der Stadt führte. Als er sich auf das Geländer lehnte, das den kleinen Aussichtsplatz abschloss, und in dieser Stellung auf die Stadt hinunterblickte, hörte er, wie die Stimme sehr leise, aber eindringlich etwas sagte, das klang wie: »Ihnschüber! Ihnschüber!«. Diesmal erschrak er nicht mehr, sondern fragte laut, was das heißen solle. Die Stimme sagte nochmals leise dasselbe und verstummte dann.
    Erikson ging langsam nach Hause und dachte über dieses Wort nach, das ihm unverständlich blieb. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr bekam er das Gefühl, gerade darin sei eine Nachricht für ihn enthalten, mehr noch, eine Botschaft, deren Entschlüsselung für ihn
von großer Wichtigkeit sei, und plötzlich hoffte er, die Stimme käme nochmals und erkläre es ihm. Als dies aber ausblieb, tat Erikson etwas, was er seit

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