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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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mongolischen Botschaft zu erfahren sucht, was diese Aufschrift bedeute, wobei sich einzig fragt, ob er den ganzen Briefumschlag einschickt oder nur die Aufschrift ausschneidet, um kein Misstrauen zu erwecken. Es würde aber nicht erstaunen, wenn die Botschaft zurückschriebe, die Aufschrift bedeute soviel wie »Abgereist ohne Adressangabe«.
    Der Postverwalter von Grengiols würde sich nun zuerst überlegen, ob er die 40 Yau einfach aufs Geratewohl als internationale Zahlungsanweisung an die ihm vom Weltpostverein bekannt gegebene Adresse schicken solle, doch da sich der Mindestbetrag, den man auf diese Art schicken dürfte, auf 2 Franken, also auf über 300 Yau beliefe, hätte die mongolische Postbehörde unverhältnismäßig viel mehr erhalten, als ihr zugekommen wäre. Jetzt würde der Postverwalter zum Lehrer gehen und ihn fragen, ob er die Ansichtskarte aus der Mongolei noch besitze, und dieser hätte sie wegen ihrer Seltenheit immer noch hinter dem Spiegel eingeklemmt. Wenn ihn der Postverwalter jedoch bäte, ihm die Karte zur Abklärung des Strafportos für einige Zeit zu überlassen, würde sie der Lehrer ohne Zögern herausgeben.

    Der Fortgang der Geschichte stellt nun keine Überraschung mehr dar.
    Der Postverwalter von Grengiols würde einen Teil seiner Ersparnisse abheben und sich bei einem Reisebüro für eine Fahrt in die Mongolei anmelden. Er müsste etwa ein halbes Jahr auf sein Visum warten, würde sich inzwischen von der Buchhandlung Pinkus in Zürich ein mongolisches Wörterbuch kommen lassen und könnte dann, wenn sein Visum da wäre und der Termin der Reisegesellschaft feststünde, seine Ferien nehmen und schließlich mit der Ansichtskarte in der Brieftasche abreisen.
    Was aber würde in Ulan Bator geschehen, wenn er sich, den ersten freien Nachmittag des Reiseprogramms benützend, zu der vom Weltpostverein angegebenen Adresse des Hauptpostamtes, die natürlich richtig wäre, begäbe und dort mit der Ansichtskarte und 40 Yau in der Hand vorspräche? Würde man ihn verstehen? Würde man ihn wegweisen? Würde man ihn zum Direktor bringen? Würde man ihn der Polizei übergeben?
    Ich sehe ihn bloß vor einem Spalier undurchdringlicher mongolischer Gesichter, wage aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen, was ihm passieren würde. Sicher bin ich nur, dass es ihm nicht gelänge, den Strafportobetrag seiner wirklichen Bestimmung zuzuführen. Das beste, was ihm geschehen könnte, wäre wohl, dass ein kleiner Beamter strahlend nicken würde und die 4o Yau annähme, ihm sogar eine Bestätigung für den Empfang ausstellen würde, das Geld aber in Wahrheit für sich behielte.

Die innere Stimme
    E in Mann, dessen Name mit A. Erikson angegeben wird, hörte zu Beginn der sechziger Jahre eine innere Stimme. Diese Stimme vernahm er aber nicht in seinem Kopf oder in seiner Vorstellung oder wie man das Innere eines Menschen sonst bezeichnen soll, sondern sie drang in der Nähe des Nabels aus seinem Körper und war hoch, krächzend und sehr deutlich. Als er sie zum ersten Mal hörte, sagte sie: »Nichts leichter als das.« Erikson saß zu dieser Zeit frisch gewaschen auf dem Rand seiner Badewanne und war, wie versichert wird, bei klarstem Bewusstsein, war auch nicht irgendwie geistesabwesend oder traumverloren, sondern hatte darüber nachgedacht, ob er den Abend im Kino verbringen solle oder ob er sich besser ein Nachtessen zubereite und nachher noch einen Brief an seinen Vater schreibe. Nach seinen eigenen Angaben erschrak er außerordentlich über die Stimme und beschloss, zu Hause zu bleiben. Er machte sich zwei Spiegeleier und Nudeln, trank dazu Tee und schrieb nachher den Brief an seinen Vater, in welchem er aber die Stimme nicht erwähnte. Sein Vater war damals sehr krank und verschied drei Wochen später.
    Erikson, der als ungesellig und scheu geschildert wird, hatte daraufhin längere Zeit keine Erscheinung dieser Art mehr, bis er eines Abends am Fernsehapparat die Übertragung
eines Länderspiels verfolgte. Als die Mannschaft, die Eriksons Gunst besaß, das erste Tor geschossen hatte und man die Menge im Stadion jubeln hörte und Erikson zwar nicht jubelte, aber von seinem Sessel aufsprang, rief die Stimme aus seinem Innern sehr zornig und laut: »Ohne jede Regel!« Erikson wollte, wie er sagte, sofort »Ruhe!« schreien, hatte aber vor Schreck einen vollkommen speichellosen Mund. Er sei über eine Stunde am selben Ort stehen geblieben, dann habe er sich ins Bett gelegt und ein Heizkissen an den Bauch

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