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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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solchen Schreckens auf dem Gesicht eines Toten gesehen habe. Unsere besten Leute suchten während Wochen nach dem Mörder. Niemand sah auch nur die geringste Möglichkeit, dass irgendjemand nach dem Pfarrer die Zelle noch betreten haben konnte, und so musste ich diesen Fall schließen mit einer Annahme, mit der ich mich nicht an die
Öffentlichkeit gewagt habe. Jetzt erst weiß ich, dass sie wahr ist. Man sah schon an der Haltung der Hände, dass ein Kampf stattgefunden haben musste, ein verzweifelter Kampf zwischen dem Ermordeten und seinem Mörder, ein Kampf, in dem er sich noch mit seiner ganzen Kraft gewehrt hat, gegen etwas, das stärker war als er, stärker, weil es nicht eigentlich ein Mörder war, sondern ein Richter.«
    »Und wer war dieser Richter?«, fragte ich.
    »Das Halstuch«, sagte der Staatsanwalt, »das Halstuch ganz allein.«
    Dann stand er auf, nahm das Halstuch sehr sorgfältig in seine Hände, legte es zwischen die ungelösten Gegenstände auf das Regal und schloss den Schrank wieder ab.

Der Langläufer
    E r versuchte noch etwas zu beschleunigen.
    Er hatte geglaubt, als er gegen Abend aus der Waldroute abbog, er sei der großen Masse der Läufer entronnen, aber jetzt, da er ins Tal kam, hörte er wieder das bekannte Knirschen hinter sich, zusammen mit dem leicht klingelnden Geräusch der einsetzenden Stockspitzen. Es ärgerte ihn, dass um diese Zeit, wo die meisten den Sammel-und Ausgangsplätzen zuliefen, noch jemand die Idee hatte, ins Tal hinauf zu gehen, es war schon schattig, und die Loipe stieg an, man brauchte Ausdauer, wenn man in dem Tempo weitergehen wollte, das er jetzt angeschlagen hatte. Er wollte in dem Tempo weitergehen, er wollte sich nicht überholen lassen, er wollte die Loipe so frei vor sich sehen wie jetzt, er hatte begonnen, Langlauf zu machen, weil er menschenleere Flächen durcheilen wollte, und war erschrocken gewesen über die Menschenmassen, die sich auf den zwei Spuren ausbreiteten, wo das Überholen fast in gleich wenigen Momenten möglich war wie auf der Autostraße. Vor allem hatte ihn die eigentlich erfreuliche Tatsache, dass diese Sportart auch für alte Leute möglich war, mit einem eigenartigen Widerwillen erfüllt, wenn er sah, wie viele halb mumifizierte Kolonnen sich hier mühsam von einem Hügelchen zum nächsten schoben, oder wenn er, die talwärts führende Spur hinunterfahrend,
die ältlichen Schweißschwaden der Hinaufkeuchenden durchpflügte. Deshalb wohl war er jetzt abgebogen, und deshalb wollte er sich auf keinen Fall überholen lassen, auch wenn das Knirschen hinter ihm näherkam. Er konnte mit den Beinen nicht mehr wesentlich schneller laufen, eigentlich war es ihm immer rätselhaft, wie jemand schneller sein konnte als er. Er gab noch mehr Druck auf die Stöcke, was ihn zwar am linken Ellbogen ziemlich schmerzte und auch an der Hand, er war gestern hingefallen, aber er wollte niemanden vor sich sehen, es war schön hier, der Bach links war fast zugefroren, und auf den Bäumen des Waldes lag frisch gefallener Schnee. Er kam nun sehr stark ins Schwitzen, öffnete während eines ganz kurzen Gefälles auch seine Windjacke, bevor er wieder den Anstieg anging, in einer leicht hüpfenden Art, die er sich angeeignet hatte, indem er sich vorstellte, einen Langläufer nachzumachen. Gleichzeitig wurde es kälter, und er spürte, wie sein Barthaar an verschiedenen Stellen durch Eisklumpen zusammengezogen wurde. Er keuchte schon sehr heftig, und sein Gegner, nach dem er sich nicht umdrehte, musste in äußerst geringem Abstand hinter ihm sein, die Tatsache, dass er nicht überholen konnte, war ermutigend. Die Steinhütte, welche den ersten Drittel des Tales markierte, lag hinter ihm, während des Tages sah man dort viele, die rasteten, aber jetzt war niemand mehr dagewesen. Eigentlich hatte er nur bis zur Hütte gehen wollen, denn die Dämmerung nahm rasch zu, aber nun war das Rennen aufgenommen, und er wollte es erst aufgeben, wenn er überholt würde. Im Wäldchen, durch das die Spur jetzt führte, war es schon
fast dunkel, hier kamen auch die ersten Stücke, die so steil waren, dass er nicht mehr geradeauf laufen konnte wie die ganz guten Läufer, die im Gegensatz zu ihm immer auch ganz gute Wachskünstler waren, und er musste sich mit gespreizten Skis hocharbeiten, das war ärgerlich, seine Langlaufskis hatten keine Kanten, er rutschte zwei-, dreimal, aber seinem Verfolger schien es nicht besser zu gehen. Er hatte Mühe, nachher seinen Rhythmus wieder zu

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