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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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dann an
und sagte: »Nein. Wir kennen uns zu wenig. Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
    Wieder jemand, der ein Geheimnis hatte. Als sie mich fragte, warum ich das denn wissen wolle, sagte ich, es gehe um einen Menschen, der sich mit diesem Halstuch aufgehängt habe, und es interessiere mich einfach, wie das Halstuch bis zu ihm gekommen sei. Sie verlor etwas Farbe, als sie mich jetzt fragte, wer sich denn damit aufgehängt habe.
    »Ein Untersuchungshäftling«, sagte ich.
    »Oh«, sagte sie und hielt sich die Hände vor die Lippen.
    Doch auch als ich ihr sagte, dass ich die Umstände nur für mich selber und nicht für die Öffentlichkeit oder in irgendeinem Auftrag klären wollte, blieb sie bei ihrer Haltung und sagte mir nichts.
     
    Aber eigentlich wusste ich genug. Offenbar war es diesem Halstuch bestimmt, über Freundschaften und Liebesgeschichten seinen Weg zu finden, und das hier musste eine große Liebesgeschichte sein, und sie musste jemanden betreffen, der mit Untersuchungshäftlingen zu tun hatte, denn die Angst, ihr Geliebter könne schuld sein an einem Todesfall, war der Ärztin deutlich anzusehen gewesen. Aber wer? Ob der Deutsche schon einen Verteidiger gehabt hatte? Noch einmal telefonierte ich mit meinem Freund, dem Staatsanwalt, aber zu meiner eigenen Überraschung fragte ich ihn etwas ganz anderes, nämlich ob er mir nicht ein Bild von dem Mann geben könne.
    Als er mich fragte, wozu, sagte ich sehr bestimmt, wenn ich ein Bild von ihm habe, dann könne ich ihm auch sagen,
wer er gewesen sei und weshalb er sich umgebracht habe. Der Staatsanwalt schwieg eine Weile. »Gut«, sagte er dann, »gut, ich schick dir eins. Aber sei vorsichtig, wenn du nach Frankreich fährst.«
    Ja, das hatte ich vor. Ich hatte das Gefühl, wenn ich einmal den wirklichen Ursprung des Halstuchs kenne, dann sei auch das letzte fehlende Glied in der Kette kein Problem mehr.
    Die nächsten freien Tage, die ich mir organisieren konnte, benützte ich dazu, nach Avignon zu reisen, nachdem ich mich vorher beim dortigen Verkehrsbüro erkundigt hatte, ob die Warenmärkte immer noch abgehalten würden. Jeden Samstag, sagte man mir, und so fuhr ich an einem Freitag hin.
    Natürlich gab es den Stand mit den Halstüchern nicht mehr, aber ich musste nur dreimal fragen, bis mir eine Frau an einem Nougat-Stand Auskunft geben konnte. »Mais oui, la Josefine«, sagte sie und nannte mir den Namen eines kleinen Dorfes, das ziemlich weit außerhalb von Avignon lag. Immer sei sie mit ihren Halstüchern auf den Markt gekommen, seit dem Krieg, jetzt komme sie aber schon lang nicht mehr, einmal habe sie gehört, sie sei krank, aber ob ich nicht ein paar Nougat-Stängel wolle? Ich kaufte ein Dutzend, dankte ihr und erkundigte mich dann nach einer Fahrgelegenheit zu diesem Dorf.
    Am Nachmittag gab es einen Bus dorthin, ich war eine halbe Stunde zu früh am Bahnhofplatz, von wo er abfuhr, stieg schon ein und schaute durch das Fenster dem Treiben vor dem Bahnhof zu, betrachtete die Leute, die nach und nach einstiegen, vor allem Frauen mit Einkaufstaschen
und Plastiksäcken, die sie meistens auf den Sitz neben sich legten, denn der Bus war nicht voll, eine hatte sogar einen Besen gekauft. Kurz vor der Abfahrt, nachdem der Buschauffeur schon durch die Reihen gegangen war und alle ihr Fahrtziel genannt und ihr Billett bezahlt hatten, stieg eine Frau ein, Mitte Vierzig vielleicht, musterte mit einem knappen Blick alle Fahrgäste und setzte sich dann auf den Platz neben mich. Als der Bus fuhr, fragte sie mich, ob ich es sei, der die Josefine suche. Ich erschrak ein bisschen. Ja, sagte ich dann, das sei ich, ob sie sie kenne. »Bien sûr«, sagte sie, »c’est ma mère.« Ich sagte, dass mich das sehr freue, und wie es ihr gehe, aber sie sagte nun während der ganzen Fahrt nichts mehr.
    Das Dorf, welches das Ziel meiner Reise war, war sehr klein, der Bus hielt auf einem Plätzchen bei einem Bistro, vor dem trotz des kalten Märzwetters bereits ein paar Männer im Freien saßen, an kleinen Tischchen, und Bemerkungen machten über die Leute, die ausstiegen, es fiel natürlich auf, dass Josefines Tochter mit einem Fremden kam, aber ich verstand nicht, was ihr der kleine alte Dicke zurief, der grinsend mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte.
    Sie werde mich zu ihrer Mutter führen, sagte die Frau und ging mit mir die Dorfstraße hoch und zum Dorf hinaus; es lag an einem Hügelzug, der eine Art Vorterrasse zum Bergzug im Hintergrund bildete, auf dem noch

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