Der Geisterfahrer
auch alles so überraschend, was im Zusammenhang mit meinem türkischen Traum geschah.
Dabei war es nicht einmal ein Traum mit einer Handlung oder einer bildhaften Geschichte, sondern ich konnte mich am Morgen lediglich erinnern, dass ich von einem türkischen Terroristen geträumt hatte. Ob er mich bedrohte, oder ob wir Komplizen waren, wusste ich auch nicht mehr, hingegen wusste ich noch seinen Namen. Er hieß Araman da Silva.
Als ich, es war ungefähr vor einem Jahr, meiner Frau am Morgen diesen Traumeindruck beiläufig erzählte, horchte sie sogleich auf und wollte noch Genaueres wissen, aber ich wusste, wie gesagt, nichts Genaueres mehr.
Etwa eine Woche später erwachte ich mitten in der Nacht und wusste, dass ich wieder von dem türkischen Terroristen geträumt hatte, aber wieder wusste ich nicht was, keine Spur eines Vorgangs oder wenigstens einer Stimmung, nur der Name ganz klar: Araman da Silva.
Als ich das am Morgen meiner Frau erzählte, fragte sie mich, was mir denn zu diesem Namen in den Sinn komme. Araman erinnerte mich an das mesopotamische Gut-und-Böse-Zwiegespann Ormuzd und Ariman, aber ich wusste nicht mehr, welcher von beiden die Verkörperung des Bösen war, wahrscheinlich Ariman. Da Silva tönte für mich portugiesisch, Silva ist Wald, der Name hieß also wohl etwa wie »Der Böse aus dem Wald«.
Meine Frau freute sich sehr über diese Deutung. Der Mann, glaubte sie, wolle mir mitteilen, dass ich meine bösen und unberechenbaren Seiten mehr pflegen solle, dass ich wieder mehr zu einem Waldmenschen werden müsse. Was das Letztere betrifft, so habe ich mir schon vor ein paar Jahren aus einem solchen Gefühl heraus den Bart wachsen lassen, aber ob man mit oder ohne Bart telefoniert, macht keinen Unterschied – überhaupt nicht telefonieren sollte man, dann wäre man ein Waldmensch. Und diesen Schritt habe ich bis jetzt nicht getan, ich finde höchstens ab und zu die Kraft, ein klingelndes Telefon nicht abzunehmen.
Was aber das Erste betrifft, so bin ich tatsächlich alles
andere als böse, ich bin sogar von einer Art Menschenfreundlichkeit durchdrungen, die es mir zum Beispiel fast unmöglich macht, jemandem alle Schande zu sagen, ich bin immer bereit, dem andern zuzugestehen, dass er auf seine Art vielleicht auch recht hat. Dies bringt mich öfters in Situationen, wo ich mich nachher wegen meiner Freundlichkeit verfluche. Im Übrigen hat das nicht zur Folge, dass ich deswegen nicht für eine Meinung oder eine Sache einstehe, ich kämpfe sogar darum, aber unter Dingen, um die man kämpfen muss, verstehe ich eher bessere Lebensbedingungen als die Höhe einer Reparaturrechnung. Und die reine Aggression, die Bosheit, ist mir so fremd, dass ich jedes Mal einen vollkommen trockenen Mund bekomme, wenn sie mir begegnet – daran erkenne ich sie auch wie andere Leute den Föhn an ihren Gelenkschmerzen. Schon oft habe ich mir Maßnahmen zur Pflege des Bösen vorgenommen, z. B. jeden Tag einmal jemanden zusammenzuscheißen, gleichgültig weshalb, oder schon nur das prinzipielle Neinsagen etwas zu üben, aber irgendwie liegt es mir wirklich nicht, und man kann sich auch fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, Menschenfreundlichke it zu sabotieren, nachdem sie ohnehin eher selten ist.
Kurz, es waren für mich mehr oder weniger rhetorische Forderungen oder Empfehlungen, die meine Frau im Namen Araman da Silvas an mich richtete. Es nützte deshalb auch nicht viel, als sie mir aus einem grauenhaften Fotoautomatenbildchen von mir einen Steckbrief machte: »Gesucht: DA SILVA, Araman (Anarchist). Vorsicht! da Silva ist möglicherweise gewalttätig!« und ihn an den
Schlafzimmerschrank heftete. Ich wusste nicht, was diese Erscheinung mit mir zu tun haben sollte.
Auch als ich das nächste Mal von ihm träumte, konnte ich keinerlei Detail behalten, weder von seinem Aussehen noch von dem, was er tat, ich wusste nur, dass ich wieder von Araman da Silva geträumt hatte, dem türkischen Terroristen.
Ich begann mir nun zu überlegen, was eigentlich die Türkei und das Türkische für mich bedeuteten, und seltsamerweise kamen mir nur lauter weit zurückliegende Erinnerungen. Die erste war, dass mein Großvater mir einmal erzählt hatte, wie er in der Schule beim Vorlesen eines Lesebuchstückes statt »heimtückisch« »heimtürkisch« gelesen habe. Eine andere war, wie ich mit meiner Großmutter über den Friedhof von Schönenwerd ging und sie mir die Gräber zweier türkischer Brüder zeigte, die sich
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