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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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überfallen?«
    »Das war Arman.«
    Ich verstand noch weniger.
    »Arman jagt Sie auch. Er will, dass Sie weggehen. Wenn er Sie erwischt, bringt er Sie um.«
    Jetzt verstand ich plötzlich die Szene auf dem Kurfürstendamm, vor meiner Hotelpension, aber das verbesserte meine Situation nicht. Ich stöhnte. Mein Kopf schmerzte auf einmal entsetzlich, und ich hatte Angst.
    Der Türke schüttete nochmals ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein und reichte es mir.
    »Ich muss nachdenken«, sagte ich, als ich ihm das Glas zurückgab.

    Der Türke war nicht unfreundlich.
    »Gut«, sagte er, »denken Sie nach. Aber nicht zu lange.« Ich schloss die Augen und versuchte nachzudenken, aber es gelang mir nicht. In was war ich da hineingeraten? Hatte denn das Foto meines Großvaters eine solche Bedeutung? Das war doch alles nicht möglich. Ich begann zu dösen, und einmal öffnete ich meine Augen einen Spalt weit und bemerkte, dass nur noch mein Betreuer mit der Wasserkaraffe und dem Glas im Zimmer saß, ein langer, schmaler Mann mit einem Schnurrbärtchen und einem Turban, der auf mich je länger desto menschlicher wirkte. Ich beschloss, mich ihm anzuvertrauen, umso mehr, als ich wohl von der andern Seite doch mehr zu befürchten hatte.
    Dazu kam es aber nicht mehr.
    Vier Männer sprangen in den Raum, schlugen meinen Betreuer nieder, zwei packten mich unter den Armen, rissen mich hoch, der dritte stellte sich vor mich, der vierte hinter mich, und so stürmten sie wieder aus dem Raum, indem sie mich mitzerrten, und mir blieb nichts anderes übrig als mitzurennen. Wir überquerten einen Hinterhof, wo zwei Gestalten am Boden lagen, die offenbar zu meinen Bewachern gehörten, kamen dann in den Hofeingang, der zur Straße führte, dort ließen mich die zwei los, sagten »Aufpassen, nichts tun, mitkommen!«, und dann gingen wir ruhig zu einem dastehenden Auto, ich stieg hinten ein, zwei mit mir, die andern setzten sich nach vorn, und mit großer Geschwindigkeit fuhr der Wagen los. Kaum waren wir unterwegs, banden mir meine zwei Begleiter ein Tuch um die Augen.
    Plötzlich war meine ganze Angst weg. Obwohl ich
wusste, dass mir von Armans Leuten Schlimmeres drohte als von denjenigen Karmans. Aber einerseits hatte ich wohl schon so viel Schrecken ausgestanden, dass er sich nicht mehr steigern konnte, und andererseits fühlte ich mich jetzt der Lösung des Rätsels näher.
    Zur Erleichterung bestand allerdings kein Grund. Nachdem der Wagen längere Zeit langsam über einen holprigen Weg gefahren war, hielt er an, ich musste aussteigen, und ich merkte am Geruch und am Boden, dass ich mich in einem Wald befand, wahrscheinlich irgendwo im Grunewald, dachte ich und erinnerte mich der Abrechnung, die hier einmal unter Terroristen stattgefunden hatte, ich glaube, sie hatten einen exekutiert, der sie verlassen wollte. Ein paar Schritte, zu denen man mich am Arm nahm, dann ging eine Türe auf, und ich betrat einen Raum, in dem es nach Wachskerzen und Räucherstäbchen roch. Hier wurde mir die Binde abgenommen.
    Als ich mich an das Licht gewöhnt hatte, sah ich vor mir an der Wand des Raumes sechs Männer auf Kissen am Boden sitzen, alle europäisch gekleidet. Jeder der sechs hielt eine große Kerze in der Hand, und im Lichte dieser sechs Kerzen sah ich, auf der mit braunen Tüchern ausgeschlagenen Rückwand der Blockhütte, über zwei blitzblank gekreuzten Türkensäbeln das Bild meines Großvaters. Im Mann, der jetzt zu sprechen begann, erkannte ich sogleich den Gastwirt des Restaurants.
    »Was weißt du über meinen Vater?«, fragte er mich.
    Ich überlegte mir einen Augenblick, ob es für mich irgendeine Ausflucht gab, ein Entkommen, ein Verleugnen, und dachte dann, die einzige Chance ist die Wahrheit.

    »Er kann nicht dein Vater sein«, sagte ich.
    »Warum?«, fragte der Wirt.
    »Er ist mein Großvater.«
    Der Gastwirt sagte ein türkisches Wort, eine Bewegung kam in die Männer unter dem Bild, sie setzte sich fort, und erst jetzt sah ich, dass außer den vieren, die mich hergebracht hatten, noch weitere Leute im Raum waren.
    »Das ist eine Lüge«, sagte der Gastwirt scharf.
    »Ich verwechsle meinen Großvater nicht. Das Bild kommt aus der Schweiz, schaut euch die Unterschrift des Fotografen an, unten rechts, Schätzle, Schönenwerd, ist das etwa ein türkisches Geschäft?«
    Die Signatur des Fotografen war zum Glück auch auf der Reproduktion deutlich lesbar, und die Nennung des Namens Schönenwerd löste sichtlich Betroffenheit aus. Der

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