Der Geisterfahrer
mühelos auf Italienisch hersagen.
Am meisten verwundert darüber war mein Urgroßvater selbst, der es sich eigentlich nicht erklären konnte, der aber einen Zusammenhang mit dem lombardischen Bartwichsenverkäufer, welcher neben ihm am Tische Platz genommen hatte, ahnte, und diese Ahnung sollte sich nicht
als falsch erweisen, denn nun sehe ich auch den Lombarden aus der Gasse auftauchen und den Weg über die mittlere Rheinbrücke antreten, und schon hat er mit seinem Blick meinen Urgroßvater erfasst, der, mit dem Rest des Buches unter dem Arm und seinem Spazierstock mit dem silbernen Knauf, den er von Zeit zu Zeit munter schwingt, das andere Ufer des Rheins zu erreichen trachtet.
Doch zurück ins Imperfekt: Gerade war er am Käppelijoch, der kleinen Kapelle, welche die Mitte der Brücke zierte, vorbeigegangen, als er einen leichten Klaps auf der Schulter spürte. Sich umdrehend, erblickte er das ihm wohlbekannte Gesicht des lombardischen Bartwichsenverkäufers, der ihn grinsend anschaute und ihm gratulierte, dass er so schnell italienisch gelernt habe. »Da staunst du, gell?«, gab mein Urgroßvater zurück, indem er seinen Schritt wieder etwas beschleunigte, »die einen müssen Bücher lesen, die andern brauchen sie nur zu fressen.«
Ja, sagte der Lombarde, aber mit dem Fressen sei es auch nicht getan, man brauche dann noch jemanden, der das Gefressene richtig sage, und dieser eine sei, wie er ja wohl bemerkt habe, niemand anderer als er selbst, der Lombarde, gewesen, der neben andern Künsten auch die der Bauchrednerei beherrsche, und er schlage ihm vor, seinen Gewinn aus den verkauften Blättern zu halbieren, das sei nichts als gerecht.
Mein Urgroßvater gab sich ebenso erstaunt wie dankbar. Das also sei des Rätsels Lösung, geahnt habe er es, aber sicher sei er nicht gewesen, und selbstverständlich trete er ihm seinen Anteil ab, und er schlage vor, das Geschäft in der nächsten Gaststube zu erledigen, wo sie auch
noch einen auf ihre unerwartete Zusammenarbeit anheben könnten. Mit diesen Worten betrat er das erste Gasthaus auf der andern Seite des Rheins, das damals noch dort war, wo heute ein Modehaus steht, und den Namen »Vogel Gryff« trug. Der Lombarde hätte die Sache zwar lieber draußen hinter sich gebracht, aber mein Urgroßvater war derart flink in die Wirtschaft eingetreten, dass der andere keine Wahl hatte und ihm folgen musste.
Gerade waren zwei Gäste aufgestanden, in diesem Lokal, das deutlich gepflegter und somit auch teurer war, der Halbe Elsässer kostete hier zwei Franken, und mein Urgroßvater bestellte sogleich einen ganzen Liter, ein gutes Geschäft müsse auch gut begossen werden, sagte er und schlug dem Lombarden lachend auf die Schulter. Als der Liter auf dem Tisch stand, gebracht von einer üppigen rothaarigen Kellnerin, die vom unglaublichen Schnurrbart des einen Gastes spürbar beeindruckt war, leerte mein Urgroßvater das erste Glas auf einen Schluck und schenkte sich sogleich nach, während der Lombarde etwas vorsichtiger trank.
Leider, sagte mein Urgroßvater, wisse er gar nicht mehr, wie viele Seiten er vom Buch verkauft habe. Der bauchredende Bartwichsenverkäufer hatte aber mitgezählt, gab dies wenigstens vor, es seien, sagte er, genau 42 Seiten gewesen, ein sehr gutes Geschäft also, und das mache dann 21 Franken für jeden von ihnen, und er fände es am besten, er würde ihm das Geld gleich hier auf den Tisch zählen.
Das finde er auch, sagte der Urgroßvater, der damals, um dies nochmals in Erinnerung zu rufen, ein junger Mann
war, und legte seinen Geldbeutel auf den Tisch, doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich.
»Ich muss erbrechen«, sagte er leise zu seinem Kumpanen, »ich hab doch zu viel von dem Buch gegessen«, und er begann zu würgen.
»Nicht auf den Tisch«, sagte der Lombarde, »geh raus auf den Abort, ich passe auf deinen Geldbeutel auf.«
Schnell erhob sich mein Urgroßvater, ließ den Rest des verspeisten Buches und seinen Geldbeutel auf dem Tisch des Lombarden liegen und begab sich, mit leicht gekrümmtem Oberkörper, eine Hand auf dem Magen, zur Tür hinaus in Richtung der Aborte.
Als er nach zehn Minuten noch nicht wieder zurück war, erhob sich der Lombarde, um nach ihm zu schauen, aber da trat ihm die rothaarige Serviertochter in den Weg und sagte lächelnd: »Zuerst zahlen, schöner Herr.«
Es nützte nichts, dass er sagte, er wolle nur nach seinem Freund sehen, dem es übel geworden sei, die Serviertochter beharrte
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