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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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auf der Zahlung, denn es sei, sagte sie, schon manchem übel geworden, wenn er hätte zahlen müssen, und der Weg zum Abort sei auch der Weg nach draußen, und ein Liter koste vier Franken, und das sei er auch wert.
    Kurz entschlossen öffnete der Lombarde die Geldbörse meines Urgroßvaters und erblasste, als diese nur eine Mischung aus Kieselsteinen und Hosenknöpfen enthielt. Sofort war ihm klar, dass sein Geschäftspartner an allen möglichen Orten sein mochte, aber ganz sicher nicht auf dem Abort des Gasthauses »Vogel Gryff«.
    Zähneknirschend bezahlte er die vier Franken von seinem eigenen Geld, ging wie zum Trotz dennoch auf den
Abort, fand dort natürlich keinen Urgroßvater, ebenso wenig roch es nach Erbrochenem, denn mein Urgroßvater hatte einen guten Magen, der auch noch ein paar Buchseiten mehr vertragen hätte.
    Da mein Urgroßvater ein misstrauischer Mann war, steckte er sein Geld grundsätzlich nicht in einen Geldbeutel, den er aber für den Fall eines Straßenraubes immer bei sich trug, mit eben der Füllung, welche sein Zufallscompagnon gerade entdeckt hatte.
    Als der Lombarde wieder hinaustrat in die kühle Basler Nachtluft, sah er von der andern Seite der Rheinbrücke den Menschen mit der Schiffermütze in schnellem Schritt herannahen, zusammen mit zwei, drei andern Gästen der Kleinbasler Schenke, und sie sahen aus wie Menschen, die soeben die Entdeckung gemacht hatten, dass das Verschlingen einer Seite aus einem italienischen Buch noch nicht genügt, um italienisch zu lernen, und sie sahen nicht so aus, als wollten sie diese Erkenntnis ungerächt lassen, und deshalb konzentrierte sich der lombardische Bauchredner auf seine eigene Sicherheit und verdrückte sich hurtig in eines der Gässchen, das zum Münster hinaufführte, ohne einen weiteren Gedanken an die Verfolgung meines Urgroßvaters zu verschwenden.
    Der wanderte unterdessen schon wieder rheinaufwärts zurück in sein Heimatdorf, und er war sehr zufrieden mit dem heutigen Tag, denn er hatte eine Schießbudenpapiernelke im Knopfloch, und in den Taschen seiner Weste trug er einen französischen Nagellack für seine Frau, ein Päcklein Messmocken für seine fröhliche Tochter Anna, meine Großmutter, eine Dose lombardische Bartwichse
für sich selbst, und vor allem 42 harte Franken aus dem Erlös eines Buches, von dem er einige Seiten verspeist hatte, aus Unnachgiebigkeit und Selbstachtung und aus der Überzeugung heraus, dass jeder Witz, der mit einem gemacht wurde, in einen Witz verwandelt werden konnte, den man seinerseits mit den andern machte, und das war ihm heute gelungen, und deshalb kehrte er heiteren Gemütes im Mondschein nach Sisseln zurück und sang dabei die Lieder, die er mit seinen Freunden im Männerchor zu singen pflegte, »O Täler weit, o Höhen«, »Im Aargau sind zwöi Liebi« und »Furchtlos schreitet der kräftige Mann«, und so möchte ich ihn schreiten lassen, zurück bis nach Sisseln, zurück durch zwei Weltkriege bis in die vorige Jahrhundertwende, zurück in die Vergangenheit, aus der ich ihn für sieben Kapitel hergeholt habe, und ich hoffe, ihr habt ihn auch ein bisschen liebgewonnen, wie ich, der ich nicht ohne Rührung an ihn denken kann.

Die Karawane am Boden des Milchkrugs

Der Abstecher
    I ch stand in Bern auf dem Bahnhof und wartete auf den Zug nach Zürich, der soeben als leicht verspätet gemeldet worden war.
    Als ich nach einer Weile aus dem Lautsprecher hörte: »Auf Gleis 11 steht der Schnellzug nach Singapur«, konnte ich nicht widerstehen. Ich nahm mein Mäppchen, begab mich durch die Unterführung nach Gleis 11 und stieg in den bereitstehenden Zug ein, nicht ohne mich vorher zu vergewissern, dass am Wagen tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift »Bern – Singapur« hing und dass dieselbe Angabe auch auf der Anzeigetafel über dem Perron zu lesen war.
    Warum ich einstieg, kann ich heute nicht mehr genau sagen, so etwas tut man ja nicht auf Grund einer bestimmten Überlegung. Vielleicht, dachte ich mir lediglich, vielleicht gibt es in der Nähe von Bern einen Weiler, der Singapur heißt, so wie es doch auch irgendwo in der Gegend ein Bethlehem gibt, mit einer kleinen Post, auf der man zu Weihnachten Kartengrüße abstempeln lassen kann, und das Ganze hängt mit einer Werbung für die Bundesbahnen zusammen.
    Das einzige, was für mich feststand, war, dass dieser Zug nicht nach Singapur fuhr.
    Ich war deshalb etwas überrascht, als mich der Kondukteur
bald nach der Abfahrt des Zuges mit

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