Der Geisterfahrer
dass ich den fehlenden Billettbetrag durch meine Bank überweisen lassen würde, sobald wir in schätzungsweise drei Wochen in Singapur eingetroffen wären, und sich der Kondukteur mit seinem Tablett neben mich gesetzt hatte und mir während des Essens von seinem Interesse am Eiskunstlauf erzählte und der Asiate schweigend danebenstand, um uns nachzuschöpfen, wenn dies nötig wurde, und ich auf der andern Seite des Zürichsees die Kirchtürme von Herrliberg, Meilen und Uetikon erscheinen und wieder verschwinden sah, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Lust, einen Menschen umzubringen.
Ein ganz schwerer Transport
A ls die Maschinenfabrik Schaffner in Stilli den neuen Superthronger für das Atomkraftwerk Beznau fertiggestellt hatte, feierte die Belegschaft ein kleines Fest. Zum ersten Mal in der Geschichte des Betriebs war ein 800 Tonnen schwerer Superthronger fabriziert worden. Chefschlosser Sägesser hatte ihn mit seinen Gehilfen aus einem unmäßigen Klumpen Gussstahl herausgeformt und blickte nun gerührt auf den mit Margeriten und Nelken bekränzten Doppelsattelschlepper, auf dem das Ding ruhte. Alle stießen mit dem Chauffeur auf eine gute Fahrt an, und dann setzte sich der Doppelsattelschlepper zitternd und dröhnend in Fahrt, begleitet von zwei blinkenden Kleinwagen der Aargauer Kantonspolizei.
Von Stilli bis Beznau sind es sechs Kilometer, darum hatte man die Bestellung auch bei der sonst ziemlich kleinen Firma Schaffner aufgegeben. Eine geringe Komplikation ergab sich nur daraus, dass die Brücke, die bei Stilli über die Aare nach Beznau führt, für eine solche Belastung zu schwach war. Zum Glück gab es aber wenige Kilometer flussabwärts die starke Aarebrücke von Kleindöttingen nach Döttingen, welche dieses Gewicht ohne weiteres aushielt. Bei den paar Kilometern nach Kleindöttingen musste man einzig darauf achten, die Schmittenbachbrücke vor Villingen zu vermeiden, aber auch dieses
Problem war lösbar. Man umfuhr den ganzen Schmittenbach, indem man über den Bözberg auswich und bei Stein in die Route nach Laufenburg einbog, über welche man mühelos nach Kleindöttingen gelangte. So hatte es das Schwertransportbüro vorgesehen, und wenn alles gut ging, war der ganze Transport die Sache einer Nacht.
Um zwei Uhr in der Frühe fuhr der Superthronger bereits durch Stein, und eine halbe Stunde später war er im Schrittempo in Sisseln angelangt. Wie man weiß, fließt durch Sisseln die Sisseln, und als der Chauffeur, Herr Lätt, zur Überquerung der Sisselnbrücke ansetzte, musste er brüsk bremsen und fuhr sofort wieder von der Brücke zurück. Was war geschehen? Herr Lätt hatte gespürt, wie sich auf der Höhe des Brückenkopfes der Boden unter ihm leicht zu senken begann, und war daraufhin sogleich wieder rückwärts gefahren. Eine Prüfung der Lage ergab, dass sich einzelne Steine aus dem Unterbau gelöst hatten. Man beschloss hierauf, bis zum Morgen zu warten und dann einen Geologen kommen zu lassen, der ein Gutachten abgeben sollte. Herr Lätt konnte bei einer Familie Jegge übernachten und war am andern Morgen zeitig auf den Beinen, um das Urteil des Geologen zu hören. Der ließ sich aber Zeit, stocherte mit Sonden in den Böschungen herum, watete mit hohen Stiefeln durch den Bach, hantierte mit Messbändern und Latten und machte sogar eine kleine Sprengung, bei der das Eisengeländer ein bisschen beschädigt wurde. Gegen Abend erklärte er, er habe nun genug gesehen und notiert und müsse sich zu den Berechnungen zurückziehen, berichten könne er frühestens in einer Woche. Für Herrn Lätt, der die ganze Zeit
unruhig dabeigestanden hatte, war das ein unangenehmer Bescheid. Aber er schickte sich darein, ließ den Superthronger in Sisseln stehen, kettete ihn diebstahlsicher an den Wagen und ging nach Suhr zurück, wo er wohnte.
Neun Tage später traf das Schreiben des Geologen bei der Aargauer Kantonspolizei ein. Der Wissenschaftler legte darin ausführlich dar, weshalb die Brücke, vielmehr ihr geologischer Unterbau, das Gesamtgewicht des Transports nicht vertrüge, und untermauerte die Aussage mit Diagrammen und Tabellen. Damit hatte man allerdings nicht gerechnet, aber Herr Lätt wusste, was er dem Atomkraftwerk Beznau schuldig war.
Er setzte sich mit der Kantonspolizei zusammen und arbeitete eine neue Route aus, die direkteste von Sisseln nach Beznau. Die Brücke nach Döttingen war jetzt unerreichbar geworden, und so gab es keinen andern Weg, als von Norden her, also über den
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