Der Geisterfahrer
Koch stieß nun seinerseits den Küchenburschen in die Rippen und fragte ihn, ob das überhaupt etwas heiße, und Giovanni nickte fröhlich und sagte, das heiße, Fräulein, wollen Sie mit mir einen Kaffee trinken, und das sei eine gute Frage, eccelente, fügte er mit einem Blick auf meinen Urgroßvater hinzu.
Dieser benutzte den Moment der Entspannung, um sich, immer noch stehend, an die ganze Wirtshausgesellschaft zu wenden. Da sie jetzt zur Genüge gesehen hätten, wie die Wirkung dieses Buches sei, verkündete er, würde er jedem, der gerne in kurzer Zeit Italienisch lernen möchte, etwas von dem Buch verkaufen, die Seite zu einem Franken, das sei nicht zu viel verlangt, wenn man dafür eine ganze Sprache in den Bauch geliefert bekomme.
Als sich nun einer nach dem andern aus der Gästeschar zu meinem Urgroßvater drängte und sich eine Seite aus dem Buch heraustrennen ließ – den Anfang machte der Bursche mit der Schiffermütze, der gleich zwei Blätter nahm, eins für mein Fräulein, wie er augenzwinkernd sagte –, bemerkte der Koch sehr laut zum Kellner, wie er das finde, dass der da nun das Buch aus ihrer Küche einfach weiterverkaufe.
Statt des Kellners antwortete der Urgroßvater ebenso laut und hörbar, wenn er einen Schüblig mit Buchbrot bestelle und auch bezahle – und damit legte er dem Kellner
drei Franken für die Spezialität des Hauses und den Wein hin –, dann könne er nachher damit machen, was er wolle, und Grütze auf dem Teller sei eben nicht dasselbe wie Grütze im Kopf. Während sich der Koch brummend in die Küche zurückzog und Giovanni beim Kellner seinen Halben Weißwein einzog und sogleich zu trinken begann, lief das Geschäft meines Urgroßvaters hervorragend, denn manch einer von den Anwesenden hatte schon von irgendwoher gehört, dass das Verschlucken von Buchseiten das Lernen ersetze, aber so hautnah hatten sie es noch nie vorgeführt bekommen.
Als die Ersten ihre Seiten zu kauen begannen, sichtlich gegen Ekel ankämpfend, denn ein stockfleckiger alter Schmöker wird auch durch die beste Sauce nicht zum Kopfsalat, fand es mein Urgroßvater an der Zeit, an den Aufbruch zu denken. Er putzte sorgfältig die weiße Sauce mit der Serviette von seinem Buch ab, wickelte dieses in sein großes Taschentuch, rückte die Nelke im Knopfloch zurecht, erhob sich, verbeugte sich kurz nach allen Seiten, wünschte guten Appetit für die Cucina italiana, und wenn er übers Jahr wiederkomme, unterhielten sie sich nur auf Italienisch zusammen, und dann winkte er mit der linken Hand in die Runde und verließ würdevoll, aber nicht unschnell die Kleinbasler Pinte, um den Weg zur mittleren Rheinbrücke einzuschlagen.
Es wird Sie jedoch nicht erstaunen, dass seiner noch eine kleine Überraschung wartete, denn so leicht kann sich keiner aus einem Scherz davonstehlen, den er zu seinen Gunsten umgebogen hat, und den er nicht einmal genau verstanden hat, denn mein Urgroßvater wusste selbst
nicht, woher sein Italienisch kam, und es wird Sie auch nicht erstaunen, dass ich hier das Kapitel abschließe, hoffend, dass er den Weg zur mittleren Rheinbrücke finde, und dass die Überraschung nicht zu seinem Schaden ausschlagen werde, und wer weiß, ob es überhaupt eine Überraschung für ihn sein wird – der zügige Schritt, mit dem er jetzt dem Rhein zustrebt, das halb ausgekernte italienische Kochbuch unter dem Arm, deutet eher darauf hin, dass er schon irgendetwas ahnt.
Siebtes und letztes Kapitel
W illkommen, liebe Leserin, lieber Leser, herzlich willkommen zum letzten Kapitel, in dem mein Urgroßvater schnellen Schrittes der mittleren Rheinbrücke zustrebt! Da sehe ich ihn, wie er aus der Gasse, in der sich die Kneipe befand, um die Ecke biegt und nun, immer noch forsch, aber einen Hauch gelassener, über diese Brücke zu marschieren beginnt, ohne einen Blick auf das dunkle Wasser zu werfen, das auf seiner unausweichlichen Reise nach Holland dahinfließt, während er, mein Urgroßvater, bloß die Reise nach Sisseln antreten muss, wo er zu Hause ist, fünf Stunden zu Fuß, in den etwas zu kleinen Schuhen seines frisch verstorbenen Onkels, und wenn er am frühen Morgen dort eintreffen wird, wird er etwas zu erzählen haben, denn man hat ihm, der hier die große Herbstmesse besuchte, in einer Kleinbasler Pinte einen Streich gespielt, den er zu seinem Vorteil ummünzte, konnte er doch zur Verwunderung des Kneipenpublikums jedes der ihm vorgesetzten Prüfungswörter, ja sogar einen ganzen Satz
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