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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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vergessen würde …«
    Unvermittelt verstummte Wangari, als sei sie mit ihren Gedanken noch immer in Gefängniszellen und Gerichtssälen, vor Polizisten und Richtern.
    Wariinga machte eine Bewegung, als wolle sie ihre Handtasche öffnen und die Karte herausnehmen, die sie an der Kaka Bushaltestelle erhalten hatte. Weiß Wangari etwas über das Fest des Teufels zu Ehren von Dieben und Räubern in Ilmorog? Die Frage ließ Wariinga zögern. Sie schaute Wangari an und mit einem leichten Zittern in der Stimme fragte sie:
    »Sag, Wangari, meinst du wirklich, daß es in Ilmorog Höhlen und Schlupfwinkel für Diebe und Räuber gibt?«
    »Was? Und du willst aus Njeruca in Ilmorog kommen? Aus welchem Teil von Njeruca stammst du?« fragte Wangari zurück.
    »Es ist nur … Ich wußte wirklich nicht, daß …« antwortete Wariinga zögernd.
    »Von heute an kennst du die Wahrheit!« sagte Wangari zu Wariinga. Dann schwieg sie.
5
    Auch die anderen Reisenden schwiegen, als gäbe es zu Wangaris Erzählung oder zu Wariingas Frage nichts hinzuzufügen. Aber nachdem sie schweigend eine kleine Weile gefahren waren, begann Muturi zu reden:
    »Dieses Land, unser Land, ist schwanger. Was es gebären wird, weiß Gott alleine … Stellt euch doch vor — die Kinder von uns Arbeitern müssen durstig, hungrig und nackt in der heißen Sonne stehen; sie sehen Früchte, die auf den Bäumen reifen, und nicht eine einzige können sie pflücken, um ihren hungrigen Bauch zu füllen. Sie sind dazu verurteilt, das Essen in der Küche dampfen zu sehen, aber sie können die Kalebasse nicht in den Topf tauchen, um auch nur den kleinsten Bissen zu schöpfen. Sie sind dazu verurteilt, Nacht für Nacht wach zu liegen, sich gegenseitig die Rätsel der Tränen und des Leids zu erzählen und dabei stets dieselbe Rätselfrage zu stellen: Ach, hätten wir doch … was?«
    »Reife Bananen?« antwortete Wangari, als hätte ihr Muturi ein wirkliches Rätsel gestellt.
    »Ach, hätten wir doch … was?« sagte Muturi.
    »Frisches, kühles Wasser in einer Höhle, die einem anderen gehört«, antwortete Wangari wieder.
    »Wangari, deine Geschichte zeigt, daß dieses Land, unser Land, längst hätte gebären sollen.« Muturi wiederholte, was er eben schon einmal gesagt hatte. »Es fehlt jetzt nur noch dieHebamme!« fügte er hinzu. »Wer ist für die Schwangerschaft verantwortlich, das ist die Frage!« Er schwieg.
    »Es ist des Teufels Werk«, schaltete sich Robin Mwaura plötzlich in die Diskussion ein.
    Mwaura war es etwas peinlich gewesen, daß er dort in Kineenii so viel Unwillen gezeigt hatte. Von dem Augenblick an, als Muturi, Wariinga und Gatuiria übereingekommen waren, Wangaris Fahrgeld zu bezahlen, hatte Mwaura versucht, eine Möglichkeit zu finden, um die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, weg von Wangari und ihren Problemen. Nun begann er zu singen:

    Ich werde den Teufel fertigmachen
    Ich werde den Teufel fertigmachen
    Ich werde ihm sagen: Laß mich in Ruhe,
    Mit bösen Geistern will ich nichts zu schaffen haben.
    Als sich Wariinga alles, was ihr an jenem Tag widerfahren war, ins Gedächtnis zurückrief, wurde ihr ganz heiß. Sie fragte sich: Es scheint so, als wiederholten sich heute alle Ereignisse — warum wohl? Oder ist dies hier nur leeres Gerede?
    Gatuiria wandte seinen Blick dem Fahrer zu, als wünschte er, Mwaura würde weitersingen. Wangaris Erzählung hatte Gatuiria äußerst beunruhigt, und ein über das andere Mal fragte er sich, ob derartiges heutzutage in Kenia tatsächlich möglich sei. Dann fiel ihm ein, daß es in der Tat noch immer Paßgesetze in Kenia gab, und er glaubte Wangaris Bericht. Was ihn aber darauf hoffen ließ, Mwaura würde weitersingen, hatte etwas mit der Last zu tun, die er in seinem Inneren mit sich herumschleppte, und mit einer anderen Last, die er in seinem Koffer trug.
    Der Mann mit der Sonnenbrille versuchte, sich noch kleiner zu machen und noch weiter in seiner Ecke zu verschwinden, als fürchtete er, die anderen könnten über ihn herfallen, denn er dachte, sie gehörten alle zusammen.
    Mwaura unterbrach sein Singen unvermittelt — das Lied hing noch in der Luft.
    Muturi fragte:
    »Was? Du hast den Faden abgeschnitten?«
    »Nein, ich werfe den Faden dir zu«, erwiderte Mwaura.
    Muturi sagte: »Wir sangen das Lied früher so … oder besser gesagt, wir sangen dieselbe Melodie mit anderen Worten:

    Ich werde die Weißen vertreiben
    Ich werde die Weißen vertreiben
    Ich werde ihnen sagen: Geht dahin, wo

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