Der gekreuzigte Teufel
ihr hergekommen seid,
Kenia gehört nicht den Imperialisten!«
Als Muturi die nächste Strophe begann, stimmte Wangari mit ein. Und nun sangen sie zu zweit, und ihre Stimmen verschmolzen harmonisch ineinander wie eine wohlausgewogene Mischung duftender Öle:
Kenia gehört euch Imperialisten nicht!
Kenia gehört euch Imperialisten nicht!
Packt eure Sachen und geht,
Der Besitzer des Hauses ist gekommen!
Muturi und Wangari sangen ihr Duett zu Ende, als ob sie es gelernt hätten.
Mwaura sagte: »Was mich anbelangt, so gab es damals kein Lied, das ich nicht gesungen hätte. Selbst heute gibt es kein Lied, das ich nicht sänge. Ich sage euch: diese Welt ist rund. Neigt sie sich zu einer Seite, dann neige ich mich mit ihr. Stolpert sie, dann stolpere ich mit. Beugt sie sich, dann beuge ich mich mit. Bleibt sie aufrecht stehen, dann stehe auch ich aufrecht. Knurrt sie, so knurre ich mit. Schweigt sie, so schweige ich mit. Das oberste Gesetz der Hyäne besagt: Sei nicht wählerisch, friß, was es gibt. Wenn ich unter die Anhänger der Akurinu-Sekte gerate, so werde ich einer von ihnen; gerate ich unter die Erretteten, dann bin auch ich errettet; bin ich mit Mohammedanern zusammen, mache ich mir den Islam zu eigen; bin ich unter Heiden, so werde ich auch zum Heiden.«
»Gikuyu hat einmal gesagt, daß man nicht in zwei Töpfen gleichzeitig kochen kann, ohne daß einer anbrennt«, meinte Muturi. »Aber du, Mwaura, scheinst die Fähigkeit zu besitzen, in ein paar tausend Töpfen zur selben Zeit zu kochen. Kannst du dich wirklich um all das Essen in all den Töpfen kümmern, oder hast du zu guter Letzt in allen Töpfen verbranntes Essen?«
»Der Mund, der sich am eigenen Wort verschluckt!« sagte Mwaura und lachte. Von dem Augenblick an, als er merkte, daß sich das Gespräch von Wangari und ihren Problemen entfernte,war sein Herz leicht und fröhlich geworden. »Es scheint, daß dieses Sprichwort wegen uns, den Matatufahrern, geprägt worden ist. Wir sind für unsere Großmäuligkeit und für unsere Zungenfertigkeit bekannt. Warum? Weil der Fischer nicht weiß, an welcher Stelle im Fluß er seinen Fang machen wird. Deshalb wirft er den Haken hier und da und dort aus. Für uns Matatufahrer ist unsere Zunge der Haken …«
»Um Geld an die Angel zu bekommen?« unterbrach ihn Muturi.
»Ja, um an Geld zu kommen«, stimmte ihm Mwaura sofort zu, »und auch an Menschen. Oder sagen wir Haken, um Menschen zusammen mit ihrem Geld zu fischen. Denn Geld kommt von den Menschen. Wenn sich deshalb jemand zu viel aus dem macht, was wir sagen, dann könnte er sich leicht am hellichten Tag verirren. Zum Beispiel diese Frau hier. Vielleicht denkt sie jetzt, ich hätte wirklich meinen Schwur, sie den wilden Tieren im Wald zu überlassen, in die Tat umsetzen wollen. Nein, dem ist nicht so. Ich wollte sie nur ein bißchen erschrecken. Wir regen uns oft auf, weil es immer wieder Fahrgäste gibt, die uns betrügen wollen. Ich trage stets zwei Taschen bei mir — eine mit Honig, die andere mit Galle.«
»Eine mit Leben, die andere mit Tod?« fiel ihm Muturi ins Wort mit einer Spur Sarkasmus in der Stimme.
»Du hast völlig recht«, erwiderte Mwaura, ohne zu zögern, als hätte er den Sarkasmus überhört. »Warum, glaubst du, können wir auf diesen Straßen überhaupt überleben?«
»Ich gebe zu, daß das, was du eben gesagt hast, wohl wahr sein könnte!« meinte Muturi und fügte dann sarkastisch hinzu: »Als wir in Nyamakima waren, hast du gesungen, daß es für dich keinen Ort gäbe, an den du deine Fahrgäste nicht hinbringen würdest, wenn du dafür bezahlt wirst — sei es ins Himmelreich oder ins Reich der Hölle. Sag mir eines — auf welcher Seite stehst du?«
»Du meinst, auf der Seite Gottes oder des Teufels?«
»Du sagst es«, erwiderte Muturi.
»Ich stehe auf beiden Seiten. Hast du nicht eben gesagt, ich würde in zwei Töpfen gleichzeitig kochen? Du hattest damit ganz recht. Nur, in keinem von beiden Töpfen lasse ich das Essen gerne anbrennen. Aber hier geht es ja um die Frage, Gott oder Satan. Ich habe keinen von beiden je gesehen. Aber nehmen wiran, beide existieren. Jeder besitzt seine eigene Macht. Es ist auch wahr, daß jeder schon immer um Stimmen in den Herzen der Menschen hier auf Erden geworben hat. Verstehst du denn nicht, daß es deshalb beiden möglich ist, dein Glück auf dieser Erde entweder zu beenden oder zu fördern? Genauso wie sich Politiker in Wahlzeiten gegenseitig Stimmen abjagen, genauso spielen
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