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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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Lachen.
    Aber keiner der Fahrgäste stimmte in sein Gelächter ein.
    In der Zwischenzeit hatten sie die Abzweigung nach Nare Ngare und Narok passiert. Die Satellitenstation lag jetzt links von ihnen, die Hügel von Kijabe rechts. Mount Longonot war noch vor ihnen. Die Dunkelheit hatte das ganze Land eingehüllt. Die Lichter von Mwauras Ford T jedoch und die Lichter der anderen Wagen, die in derselben Richtung fuhren oder ihnen entgegenkamen, bahnten einen Weg durch die Dunkelheit und zerschnitten sie in zwei Teile. Einige Fahrer schalteten ihr Fernlicht nicht ab. Wurde Mwaura von solchen Scheinwerfern geblendet, dann fluchte er beim Namen seiner Mutter, und er verwünschte die Fahrer mit langen, unanständigen Worten. Einmal sagte er: »Diese Führerscheine, die man kaufen kann, bedeuten Gefahr auf den Straßen. Es ist kaum zu glauben, selbst ein Säugling könnte heutzutage einen Führerschein einstecken, solange er 500 Shilling dafür bezahlt, auch wenn er noch nie ein Steuerrad mit eigenen Augen gesehen hat!«
    »Das Wasser ist bitter geworden!« sagte Muturi.
    »Und die Herzen der Menschen sind leer geworden«, fügte Wangari hinzu.
    Muturi und Wangari begannen zu singen:

    Hunger wächst in unserem Land
    Doch man hat ihm andere Namen gegeben;
    Das Volk soll nicht wissen,
    Wo das Brot versteckt liegt.

    Zwei reiche Frauen
    Verschlangen die Kinder der Armen;
    Das Menschsein der Kinder sahen sie nicht
    Denn ihre Herzen waren leer.

    Viele Häuser, viele Morgen Land
    Und eine Menge gestohlenes Geld
    Können niemals einem Menschen Frieden bringen,
    Denn es ist Gut, das man den Armen genommen hat.

    Schaut die Reichen an,
    Schaut die Armen an und selbst die Kinder —
    Sie alle straucheln auf dem Weg,
    Denn ihre Herzen sind leer.
    Muturi sagte: »Die Reichen straucheln, weil sie zuviel essen.« Wangari fügte hinzu: »Und die Armen, weil sie nichts zu essen haben.«
    Beide stimmten sie wieder ein: »… denn ihre Herzen sind leer …«
    Wieder fragte sich Mwaura: Was für religiöse Fanatiker habe ich mir da aufgeladen? Könnte es sein, daß sie zur Sekte ›Deep Waters‹ gehören?
    »Seid ihr wieder bei den Angelegenheiten des menschlichen Herzens angelangt?« Mwauras Tonfall verriet Ungeduld mit Muturi und Wangari. »Herzen, Herzen, Herzen — was ist ein Herz? Eine Brise, ein Windstoß, eine Stimme? Nein! Das Herz ist eine vorbeiziehende Wolke — die Träume eines von Armut geplagten Mannes verwandeln sie in eine goldene Himmelsleiter, auf der er zu Gott emporsteigen kann, oder aber in eine Leiter aus feurigen Kohlen, auf der seine Feinde in die Hölle hinabsteigen. Auf welchem Markt finde ich den Narr, dem ich mein Herz, egal um welchen Preis, verkaufen kann?«
    Muturi erwiderte schnell: »Das menschliche Herz? Eine Brise, ein Windstoß, eine vorüberziehende Wolke? Die Traumleiter eines Mannes, den die Armut nicht schlafen läßt? Nein! Das menschliche Herz ist aus Fleisch und Blut und ist es auch wieder nicht. Das Herz macht den Mensch zum Menschen, aber der Mensch selbst schafft sich auch sein eigenes Herz. Das Herz wird vom Körper geboren und wird wiederum zum Körper. Ein Organ des Menschen wird das ›Herz‹ genannt. Dieses Organ ist eine Art Motor, der Blut durch die Arterien und Venen pumpt; dadurch wird allen Körperzellen Nahrung zugeführt, und der Abfall wird aus allen Teilen des Körpers beseitigt. Dieser Motor arbeitet Hand in Hand mit allen anderen Organen des Körpers.
    Die Organe müssen zusammenarbeiten, damit ein Mensch sehen, fühlen, riechen, hören, schmecken und sprechen kann, damit er seine Arme bewegen, gehen und etwas aus seinem Leben machen kann.
    Was er nun aus seinem Leben macht, was er aufbaut, ist das andere Herz. Dieses andere Herz ist die Menschlichkeit, die wir mit den eigenen Händen schaffen; unsere Augen und Ohren, unser Mund und unsere Nase helfen uns dabei. Dieses andere Herz ist das, was von unserem Denken gelenkt, aus unserer Arbeit und unserem Handeln entsteht — aus unserem Tun und Arbeiten in dem Bestreben, uns die Natur Untertan zu machen. Weil wir sie brauchen, stellen wir Dinge her. Wir brauchen Unterkunft gegen den Regen, Kleidung gegen Kälte und Hitze, Nahrung, damit der Körper wachsen kann, und vieles mehr.
    Diese Menschlichkeit wiederum kann nur geboren werden, wenn sich viele Hände zusammentun, denn, wie Gikuyu einmal gesagt hat: Ein einzelner Finger kann keine Laus töten; ein Holzscheit allein erhält das Feuer nicht eine Nacht lang am Leben, ein

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