Der gekreuzigte Teufel
Mann,
der Taube kann nicht für das Volk hören;
Der blinde Mann, der blinde Mann,
der Blinde kann nicht für das Volk sehen!
Nun, schauen wir uns einmal um — wo sind die Sprachen unseres Volkes geblieben? Wo die Bücher, die in unseren verschiedenen Sprachen geschrieben wurden? Wo ist unsere Literatur? Wo sind die Weisheit und das Wissen unserer Väter geblieben? Wo die Philosophie unserer Väter? Die Zentren der Weisheit, die einst den Zugang zur Heimstätte unseres Volkes bewachten, sind zerstört, man ließ zu, daß das Feuer der Weisheit erstarb; die Schemel, die rings ums Feuer standen, warf man zum Abfall, dieTürpfosten sind zerbrochen, und die Jugend des Volkes hat Schild und Speer weggelegt. Wehe uns — es gibt keinen Ort, an dem wir die Geschichte unseres Landes erfahren, und aus ihr lernen könnten! Was wird ein verwaistes Kind, dem der Rat der Eltern fehlt, davon abhalten können, den Schmutz der Ausländer für eine köstliche Nationalspeise zu halten?
Unsere Geschichten, unsere Rätsel, unsere Lieder, unsere Sitten, unsere Traditionen — alles, was unser nationales Erbe betrifft, ist verlorengegangen.
Wer kann uns heute noch auf der Gicaandi vorspielen und die auf der Kürbisflasche geschriebenen Verse lesen und erklären? Wer kann heute noch die Wandindi spielen, die einsaitige Violine, und ihr Töne entlocken gleich der Stimme eines jungen Mannes, der seine Liebste umwirbt, wenn sie vom Feld, wo sie Erbsen gepflückt hat, heimkehrt, oder wenn sie mit Wasser zurückkommt, das sie in einer Höhle im Tal geschöpft, oder auch wenn sie zurückkehrt, nachdem sie an den Hängen des Tales Pfeilwurz ausgegraben oder Zuckerrohr geschlagen hat? Wer kann heute noch auf der Bambusflöte spielen, deren Klang das Herz eines jungen Mannes und seines Mädchens im selben Rhythmus schlagen läßt, wenn sie im Schein des Mondes, der das weite Land umhüllt, durch die Felder gehen, um die Vögel von den Hirseähren zu verscheuchen?
Aus diesem Grunde haben jetzt einige Leute an der Universität — Studenten und Lehrer — den Versuch unternommen, die Wurzeln unserer Kultur auszugraben. Die Wurzeln einer Kultur, die für die ganze kenianische Nation Gültigkeit hat, können nur in den Traditionen aller Volksgruppen Kenias gefunden werden.
Ich arbeite zum Beispiel in der Abteilung für Musik, die sich mit Musik und Musikinstrumenten und deren Gebrauch befaßt. Der größte Teil meiner Untersuchungen gilt den traditionellen Musikinstrumenten wie Trommeln, Flöten, Schellen, Rasseln und Oryxhörnern, aber auch allen Arten von Saiteninstrumenten wie der Lyra und der einsaitigen Violine.
Außerdem bin ich Komponist. Ich träume davon und meine ganzen Anstrengungen gehen dahin, eine Musik für einen großen Chor mit vielen Stimmen zu komponieren; dieser muß von einem Orchester begleitet werden, das sich aus allen Arten traditioneller Instrumente zusammensetzt — aus Schlag-, Blas-, Streich- und Blechinstrumenten. Ich habe viele Lieder komponiert. AberMelodie und Thema der Musik meiner Träume habe ich noch nicht gefunden. Tag und Nacht war ich auf der Suche danach, aber umsonst. Den Schmerz, den ich dabei im Herzen trug, könnt ihr nicht ermessen.
Manchmal, allein in einer mit Gras und Farn gedeckten Hütte, wenn draußen der Wind weht und der Regen vom Himmel fällt, oder allein des Nachts, wenn der Mond das Land bescheint, dann kann ich die vielen Stimmen von einst hören, die vielen Stimmen, die heute sind, und die vielen Stimmen, die noch sein werden; und sie alle singen mir flüsternd ihr Lied. In solchen Augenblicken ist mir, als könnte ich die Melodie, den Rhythmus und das Thema der Musik, nach der ich mich schon immer gesehnt habe, erfassen. Aber sie kommt und geht, getragen auf den Wogen des Windes.
Manches andere Mal, wenn ich im Schatten eines seine Blätter ausbreitenden Baumes liege, oder wenn ich alleine durch das Grasland streife oder am Strand des Meeres entlangwandere, dann höre ich mit den Ohren meines Herzens: ich höre den Klang vieler Flöten und Trompeten — die Herdenleute im Grasland blasen sie; ich höre die Trommeln aus dem ganzen Land, sie rufen die Jugend auf, in den Krieg zu ziehen; dann höre ich, wie die Helden des Volkes Siegeslieder singen, und Tausende von Schellen und Rasseln begleiten diese Lieder; zuletzt höre ich die Stimmen der Frauen, die mit ihrem Trillergesang die siegreichen Söhne ehren. Und plötzlich dringt der Klang des Horns der Nation an mein Ohr — es
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