Der gelbe Handschuh
die ersten fliegenden Fische. Zuerst glaubten sie, daß es sich nur um irgendwelche sparsam beflügelten Vögel handeln würde, die ganz flach über das Wasser schossen.
Aber als sie dann eintauchten und immer wieder ihre Sprünge machten, wußten sie Bescheid. Ein ganzes Rudel spielte jetzt dicht neben dem Schiffsbug in den Wellen.
„Flossen wie die Tragflächen eines Flugzeugs“, stellte Herr Finkbeiner fest.
„Und sie schießen durch die Gegend wie Gewehrkugeln“, bemerkte Ulli.
Vor dem Abendessen traf sich Herr Wagner in der Bar zu dem verabredeten Drink mit Mister Wilkinson, während sich Frau Finkbeine im D-Deck von der Friseuse den Kopf waschen ließ. Mister Palmer aus London flitzte in der gleichen Zeit nun schon zum siebenundzwanzigsten Mal in die Funkstation, um zu fragen, ob ein neues Fernschreiben aus London angekommen sei.
„Nichts Neues“, sagte der Funker bedauernd, „aber wir rufen Sie sofort über unseren Lautsprecher, wenn was reinkommt.“
„Besten Dank“, sagte Mister Palmer und rannte jetzt dem Oberzahlmeister die Bude ein. Auch dorthin kam er nicht zum erstenmal.
„Wie steht’s mit der Kabine für Mister Brown ab La Guaira?“
„Wir sind voll bis unter den Schornstein, wie oft soll ich Ihnen das noch sagen!“
„Es ist im Interesse des Schiffes“, erklärte Mister Palmer. Er nahm seine Pfeife aus dem Mund und blitzte mit seinen himmelblauen Augen.
„Ich lasse mir was einfallen“, versicherte der rundliche Mann in der Offiziersuniform.
Am Abend sah es beinahe so aus, als ob der ganze Speisesaal nach dem Essen geschlossen an Deck gegangen wäre. Passagiere spazierten durcheinander wie an einem ersten Frühlingsabend. Das Schiff rollte sanft, und der warme Wind bewegte Röcke und Schals, brachte Frisuren durcheinander und hatte Lust, ein paar Hüte oder Mützen über Bord zu blasen. Der Mond segelte zum Horizont hin, und für einen Augenblick konnte man backbord ein paar Sterne sehen.
In der Atlantik-Halle hatte später Lisa Liranda ihren ersten Auftritt. Sie zeigte ziemlich viel von ihren langen Beinen und ihrer schlanken Figur, als sie ins Licht der Scheinwerfer hüpfte und sich verbeugte. Gleichzeitig schleppte ein kaffeebrauner Mann mit nacktem Oberkörper zwei große Körbe auf die Tanzfläche.
„Das ist Singh Rumi!“ So stellte Lisa Liranda den jungen Mann vor. „Als gläubiger Sikh trägt er den eisernen Armreif, kurze Hosen, den Holzkamm und den Dolch. Sein Haar darf er sich niemals schneiden lassen.“ Der junge Inder stand jetzt breitbeinig zwischen den Körben und hatte seine Arme vor der Brust gekreuzt. Er blickte geradeaus und rührte sich nicht. Erst als die Musik einen Tusch spielte und sich die Scheinwerfer auf die Mitte der Tanzfläche konzentrierten, kam Bewegung in den schlanken Burschen mit den pechschwarzen Haaren. Er beugte sich über einen der beiden Körbe und hielt plötzlich eine Schlange in den ausgestreckten Armen, machte ein paar Schritte nach vorn und übergab sie Lisa Liranda so feierlich, als würde er ihr eine Krone überreichen.
„Eine Kobra“, flüsterte Apotheker Finkbeiner.
Lisa Liranda legte sich die Schlange wie einen Pelz um ihre nackten Schultern und machte jetzt ein paar Tanzschritte. Die Zuschauer auf den vorderen Plätzen lehnten sich in ihren Sesseln so weit als möglich zurück.
„Die Giftzähne sind gezogen“, beruhigte Lisa Liranda die Passagiere. „Sie könnte mich allerdings erwürgen“, fügte sie freundlich lächelnd hinzu.
Die Kapelle versuchte so etwas wie indische Musik zu spielen, und die Scheinwerfer kreisten in allen Farben über die Tanzfläche.
Der junge Inder mit dem Namen Singh Rumi hatte inzwischen eine Riesenschlange aus dem anderen Korb geholt. Sie war länger als zwei Meter und ließ pausenlos ihre Zunge aus dem Kopf schießen.
Lisa Liranda nahm das schwere Reptil in Empfang und hielt es mit ausgestreckten Armen in der Luft. Die Kobra hatte sie sich kurz vorher wie einen Gürtel um die Hüften gelegt.
Die Passagiere waren begeistert und klatschten in die Hände.
Jetzt machte Lisa Liranda wieder ein paar Tanzschritte. Dabei ließ sie die beiden Schlangen mit ihren Zungen immer wieder ganz dicht vor ihr Gesicht kommen.
„Die Kleine ist ja ganz niedlich“, meinte Frau Finkbeiner später auf dem Gang zu den Kabinen. „Aber die Schlangen sollte sie besser weglassen.“
„Das ist aber grade der Knüller!“ lachte Herr Wagner.
„Ich kann Schlangen nun mal nicht ausstehen“, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher