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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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geflaggt, und es heulte dumpf zur Begrüßung.

    Wie bei der Ausfahrt aus New York standen die Passagiere wieder über alle Decks verteilt an der Reling und blickten auf die flachen Häuser und Lagerschuppen hinunter, zu den schwarzen Kesseln der Raffinerien, den Ladekränen und den Eisenbahnwaggons, die sich an die Frachtschiffe heranschoben. Alles dicht ineinander geschachtelt und zusammengedrängt an der Pier, weil schon dicht dahinter ein Gebirge anstieg. Mit Palmenwäldern und hellgrünen Zuckerpflanzungen. Darüber
    steile Felsplatten und das Schwarzgrün des beginnenden Urwalds.
    Die Luft flirrte vor Hitze und der Himmel war strahlend blau.
    Die beiden Familien aus Berlin standen an der Reling im A-Deck. Sie wußten nicht recht, wohin sie zuerst blicken sollten.
    „Mein Gott, kann die Welt schön sein“, sagte Frau Finkbeiner schließlich.
    „Das war auch gestern schon deine Meinung“, bemerkte der Apotheker wohlwollend, und dann fragte er plötzlich wie aus heiterem Himmel: „Wieso heißt dieses Land eigentlich Venezuela? Die Hand hoch, wer es weiß!“
    In diesem Augenblick stampften die Maschinen dreimal laut und standen still.
    „Aha, jetzt hat der Kapitän auf die Bremse getreten“, bemerkte Ulli Wagner.
    Beinahe gleichzeitig hörte man den schweren Anker hinunterrasseln und mit einem gewaltigen Klatsch ins Wasser fallen. Auf diesen Moment hatten im Bug und im Heck ein gutes Dutzend Matrosen gewartet. Sie griffen jetzt mit ihren gelben Arbeitshandschuhen nach den Tauen und warfen sie zur Pier hinunter.
    Dort wartete ein Park von Taxis und eine Ansammlung von Menschen in allen Hautfarben, die zum Schiff drängten. Aber Polizisten in dunkelblauen Uniformen scheuchten sie zurück, so daß eine breite Gasse entstand. Und in diese Gasse hinein senkte sich jetzt die Gangway, während das Schiff noch festgemacht wurde. Möwen kreisten mit wütendem Gekreisch. Ihre Köpfe drehten sich wie in Scharnieren, und sie ließen sich wie Steine aufs Wasser fallen, wenn sie einen Brocken entdeckt hatten.
    „Bitte recht freundlich.“ Ulli grinste und fotografierte zuerst seinen Vater und dann die Familie Finkbeiner vor dem farbenfrohen Hintergrund. Anschließend fotografierte er den Hintergrund allein. Und als sie schließlich über die Gangway zur Pier geschlendert waren, machte er auch noch ein Bild von der MS Europa, die neben den übrigen Schiffen wie ein Riese im Hafen lag und weiß wie der Schnee vom Kilimandscharo.
    Die Zollbeamten und Polizisten lächelten freundlich und grüßten immer wieder mit der Hand an der Mütze. Sie wollten nicht einmal die Bordkarten sehen, die inzwischen auf dem Schiff verteilt worden waren.
    Die meisten Passagiere hatten den Tagesausflug nach Caracas gebucht. Mit der Eisenbahn vom Hafen in die Hauptstadt und dann mit einer Seilbahn über das Gebirge hinweg wieder zurück. Aber es gab auch Passagiere, die eines der wartenden Taxis mieteten und auf eigene Faust losfuhren.
    Auf Mister Wilkinson wartete eine schwarze Limousine mit einem uniformierten Chauffeur. Der Streichholzfabrikant kletterte in den Wagen und rollte davon, als sei er hier zu Hause.
    Mister Palmer hatte inzwischen an der Reling im Sonnendeck Stellung bezogen. Die Tür zur Kabine des Ersten Offiziers stand weit offen, damit er jederzeit das Telefon hören konnte. Er ließ seinen Blick nicht von der Gangway und von der Pier. Vor seiner Brust hing ein Feldstecher für den Fall, daß besonders genaue Beobachtungen nötig werden sollten. Jetzt tippte ihn Monsieur Prunelle auf die Schulter.
    „Ich sehe, daß Sie am Ball sind“, bemerkte der Franzose. „Um so beruhigter gehe ich jetzt von Bord. Caracas hat nämlich eine Gemäldesammlung, die ich nicht versäumen darf. Bis heute abend.“
    Mister Palmer nahm einen Zug aus seiner Pfeife und blickte dem Franzosen nach. „Viel Vergnügen“, sagte er ein wenig miesepetrig. Aber das hörte Monsieur Prunelle schon nicht mehr.
    Im Schatten eines Rettungsbootes lag Herr Latenser in seinem Liegestuhl, neben sich eine Flasche Bier. Seine Augen hinter den dicken Brillengläsern waren geschlossen, und man hätte glauben können, er schliefe.
    Aber er langte von Zeit zu Zeit nach seiner Flasche, trank einen Schluck und blinzelte auch gelegentlich durch die Sonne zu Mister Palmer hinüber, der wieder über der Reling lehnte und zum Kai herunterblickte.
    Inzwischen war das ganze Schiff ausgeflogen. Nur die Besatzung, die heute keinen Landurlaub hatte, war noch an Bord. Und in der

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