Der gelbe Handschuh
inzwischen vorgestellt. „Es kommt euch vermutlich spanisch vor, daß wir beide ganz gut deutsch sprechen, mein Neffe Ronny und ich. Aber das ist kein Wunder. Sein Vater war nämlich Schweizer, und meine Eltern kamen aus Österreich nach Amerika.“ Sie blickte auf. „Was soll denn das jetzt wieder?“
Das Schiffstyphon war ausgelöst worden und jaulte durch das ganze Schiff.
„Rettungsbootübung, gnädige Frau“, bemerkte der Page Axel Kannengießer. „Sie steht für heute im Bordprogramm, und die Passagiere werden gebeten, sich auf dem Sonnendeck einzufinden.“
„Da wird immer behauptet, daß man auf so einem Schiff seine Ruhe hätte!“ Mrs. Fuller lachte. „Die Leute haben keine blasse Ahnung!“
Die rund sechshundert Passagiere der MS Europa holten jetzt ihre Schwimmwesten aus den Kabinen und fuhren in den Lifts zum Sonnendeck. Dort versammelten sie sich an den Treffpunkten, die ihnen ihr Kabinensteward mitgeteilt hatte.
Die Finkbeiners und die Wagners waren zum Boot XII eingeteilt.
„Aha, bei dieser Gelegenheit sieht man sich endlich wieder“, bemerkte der Apotheker, als Peter und Ulli angelaufen kamen.
Matrosen nahmen die Persenning von den Rettungsbooten, und ein junger Offizier sagte: „Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“ Anschließend erklärte er, wie man sich die knallgelben Schwimmwesten über den Kopf ziehen müsse und wo man sie aufzublasen hatte. Die Passagiere halfen sich gegenseitig und waren schließlich vorschriftsmäßig zum Einsteigen in die Boote bereit.
Kapitän Stahlhut spazierte mit seinen Offizieren im Kielwasser über die Decks und an den Passagieren vorbei. Er lächelte freundlich und nahm immer wieder einmal die Hand an seine Mütze mit dem vielen Goldlaub auf dem Schild. Kurz darauf sagte eine Stimme durch den Lautsprecher: „Besten Dank, damit ist die Übung beendet.“
„Und den Ernstfall lassen wir einfach weg“, bemerkte Frau Finkbeiner vergnügt.
Einige Passagiere lachten, und Herr Weber, der Bordfotograf, blitzte und knipste mit seinem Fotoapparat durch die Gegend. Von den anderen Schiffsreisen wußte er, daß gerade die Bilder von der Rettungsbootübung immer besonders gut zu verkaufen waren.
Als sich die Passagiere jetzt wieder über das ganze Schiff verteilten, sahen sie mit den aufgeblasenen Schwimmwesten über ihren Kleidern und Anzügen ein wenig so aus, als kämen sie gerade von einem Karnevalszug nach Hause.
„Das Ganze ist nichts als ein Affentheater“, schimpfte wieder einmal der Juwelier aus Düsseldorf.
„Aber es ist doch Vorschrift“, sagte seine Frau beruhigend.
„Pah“, erwiderte Herr Schmidt mit dt. „Die ganze Welt ist voll von Vorschriften, und eine ist dümmer als die andere.“
Als die Finkbeiners und Wagners im Lift standen, um wieder zu ihren Kabinen ins A-Deck hinunterzufahren, kamen im letzten Moment zuerst Monsieur Prunelle und
gleich darauf Mister Wilkinson zu ihnen hereingeklettert.
„Schön, Sie zu treffen, Monsieur Prunelle“, sagte der Streichholzfabrikant mit dem englischen Schnurrbart. „Von Ihnen hört man ja reizende Sachen. Sie müssen es ziemlich dick hinter den Ohren haben.“
„Ich verstehe Sie nicht“, meinte der Museumsdirektor aus Paris verwundert. Alles an ihm war piekfein, und er sah wieder einmal wie aus dem Ei gepellt aus.
„Angeblich sind Sie allein an Bord. Aber das stimmt nicht.“ Mister Wilkinson lächelte geheimnisvoll. „In Wirklichkeit reisen Sie nämlich in Begleitung einer wunderhübschen Dame, die Sie irgendwo auf dem Schiff versteckt haben
„Ich verstehe Sie immer noch nicht“, beteuerte Monsieur Prunelle. Aber er holte jetzt sein Taschentuch heraus und tupfte damit über seine sehr gepflegte Glatze, die allmählich ins Schwitzen kam.
„Leugnen ist zwecklos“, meinte Mister Wilkinson und zauberte die Daily Mail aus seinem Jackett. „Es steht nämlich schon in der Zeitung, Sie alter Casanova.“
„Um Himmels willen, mein Herr, ich muß Sie um Diskretion bitten. Die ganze Sache sollte völlig geheim...“ Monsieur Prunelle schwieg plötzlich und blickte sich ängstlich um. „Da lachen ja die Hühner“, wieherte Mister Wilkinson, „das ganze Schiff spricht doch schon davon.“ Er drehte sich um und fragte in den Lift hinein: „Oder behaupte ich zuviel?“
„Wenn von einer Dame namens Mona Lisa die Rede ist, keinesfalls“, bestätigte Herr Wagner.
„Ich hatte ja keine Ahnung.“ Monsieur Prunelle war völlig durcheinander. „Jedenfalls war das Gespräch
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